Rezension

"Meine geniale Freundin" - ein geniales Buch?

Meine geniale Freundin - Elena Ferrante

Meine geniale Freundin
von Elena Ferrante

Bewertet mit 4 Sternen

Vor ungefähr zwei Jahren brach in Deutschland unter LiteraturliebhaberInnen eine ansteckende Krankheit aus – das sogenannte „Ferrante-Fieber“. Ausgelöst wurde diese Krankheit durch das Erscheinen des Buches „Meine geniale Freundin“, dem Auftakt der vierteiligen Neapolitanischen Saga von Elena Ferrante. Lange ist es mir gelungen, mich vor einer möglichen Ansteckung zu schützen. Doch nun hat mich das Ferrante-Fieber auch erwischt. Allerdings nur in sehr milder Form, mit leicht erhöhter Temperatur. Die erwarteten Fieberschübe blieben bei mir aus …

Best Friends Forever

Als die 66-jährige Raffealla „Lila“ Cerullo von einem Tag auf den anderen spurlos verschwindet, beginnt ihre beste Freundin Elena, die Geschichte ihrer gemeinsamen Kindheit und Jugend sowie die ihrer Freundschaft niederzuschreiben. Damit beginnt auch die Neapolitanische Saga der gefeierten italienischen Autorin Elena Ferrante, die trotz (oder wegen?) ihres Erfolgs ein Leben in der Anonymität gewählt hat. Ferrante lässt ihre Protagonistin Elena „Lenù“ Greco erzählen: Von den Kinderjahren, die sie zusammen mit ihrer Freundin Lila im Rione, einem Stadtteil von Neapel, verbrachte. Von den Bewohnern des Rione, die teils gefürchtet, teils geachtet oder auch verachtet werden. Vom Wettbewerb um den Rang der Klassenbesten in der Grundschule. Von Streitigkeiten, Missgunst und Gewalt unter den Familien des Stadtviertels. Von den Veränderungen, die mit dem Älterwerden und der Pubertät einhergehen – körperlich und emotional. Und natürlich von ersten Liebelein, Eifersüchteleien und Beziehungskisten. Im Mittelpunkt steht dabei stets die Freundschaft der beiden Mädchen, eine Freundschaft, die zwar beständig ist, aber dennoch von Höhen und Tiefen, von Nähe und Entfremdung geprägt wird.

Furore um Ferrante

Obwohl ich den Roman sehr gerne gelesen habe, kann ich den Hype um die Saga, diese Furore um Ferrante nicht völlig nachvollziehen. Beim Lesen habe ich mich des Öfteren gefragt, was den Reiz, was den Erfolg dieses Titels ausmacht. Liegt es am nostalgischen Charme, am italienischen Flair – schließlich ist die Geschichte im Italien der Fünfziger Jahre angesiedelt -, dass das Buch bereits seit etlichen Wochen die Bestsellerlisten beherrscht? Oder an den scharf gezeichneten Figuren der beiden Freundinnen, an ihrer faszinierenden Unterschiedlichkeit, ihrer Freundschaft, die über sechs Jahrzehnte bestehen bleibt? Ist es möglicherweise die Sehnsucht der Leserinnen und Leser nach solch einer innigen, treuen, dauerhaften Freundschaft, wie sie in „Meine geniale Freundin“ dargestellt wird? Oder liegt der Erfolg des Buches in dessen überzeugender Vermarktung begründet? Ich weiß es nicht. Tatsache ist jedoch, dass sich die Ferrante-Titel bestens verkaufen, und einen Grund dafür gibt es sicherlich.

Das gewisse Etwas … fehlt

Keine Frage – es macht Spaß, dieses Buch zu lesen. Ferrante schreibt unterhaltsam und fesselnd. Die Geschichte entwickelt eine Sogwirkung, der man sich nur schwer entziehen kann. Zwar gibt es keinen klassischen Spannungsbogen, keine nennenswerten Highlights in der Handlung. Trotzdem gelingt es der Autorin, ihre Leserschaft bei der Stange zu halten, mitzureißen, in ihren Ferrante-Bann zu ziehen. Auch ihre Charaktere setzt Ferrante sehr gekonnt in Szene. Besonders die Ich-Erzählerin und Protagonist Elena wird authentisch portraitiert – mit all ihrer Unsicherheit, ihrem Lerneifer, ihrem Neid gegenüber der Freundin und der gleichzeitigen Zuneigung zu Lila. Als Elena von ihrer Teenagerzeit erzählt, tut sie dies so glaubwürdig, dass ich mich selbst in diese Zeit zurückversetzt fühlte und mich in vielerlei Hinsicht mir ihr identifizieren konnte. Wie Elena kannte ich den zweifelnden und verzweifelnden Blick in den Spiegel, den brennenden Wunsch nach einer besten Freundin und das zermürbende Vergleichen mit anderen Mädchen.

Und doch: Mir persönlich hat bei diesem Buch das gewisse Etwas gefehlt, das meiner Meinung nach zu einem hervorragenden literarischen Werk gehört. Das gewisse Etwas, was für Ergriffenheit, Erstaunen, Erschütterung oder schlichtweg für restlose Begeisterung sorgt. Die Lektüre hat nichts davon bei mir ausgelöst. Die großen Erwartungen, die ich aufgrund des Hypes und diverser Lobeshymnen an den Roman hatte, wurden nicht erfüllt. Konnten wahrscheinlich gar nicht erfüllt werden, da sie einfach zu hoch waren … Das ist eben das Risiko, wenn ein Titel zu intensiv vermarktet und gehyped wird: Die Erwartungen der Leserschaft werden dermaßen in die Höhe geschraubt, dass das jeweilige Buch ihnen kaum vollständig gerecht werden kann.

Es geht weiter

Wie anfangs erwähnt, hat „Meine geniale Freundin“ zu erhöhter Temperatur bei mir geführt, wenn auch nicht zum Ferrante-Fieber. Aber immerhin! Ich werde mich also demnächst in die weiteren Bände der Saga vertiefen. Schließlich gab es am Ende dieses Auftaktes einige offene Fragen, sodass ich unbedingt wissen möchte, wie es mit Elena und Lila weitergeht. Fieber hin oder her …