Rezension

Meine Hochachtung für dieses Buch

Euer Traum war meine Hölle - Natacha Tormey

Euer Traum war meine Hölle
von Natacha Tormey

Natacha Tormey: Euer Traum war meine Hölle
Bastei Luebbe | 284 Seiten | Erscheinungsjahr: 2015 | Originaltitel: Born into the Children of God

ZITAT
Heftig sauste die Fliegenklatsche auf meinen Hintern hinunter und brannte auf meiner Kinderhaut. Ich schrei auf, mehr vor Schreck und Empörung als vor Schmerz, biss die Zähne fester zusammen, entschlossen, ihm die Befriedigung zu versagen, er habe mich zum Weinen gebracht. "Ungezogenes, nichtsnutziges Ding!" brüllte er und schlug erneut zu. Und dann noch ein drittes Mal. "Ich hoffe, du begreifst, warum ich das tun muss, Natacha. Es ist nur zu deinem eigenen Besten, weil ich dich liebhabe. Und jetzt geh ins Bett und bitte den Herrn, dir zu vergeben", sagte er mit schnellem Atem.

MEINE MEINUNG
Das Buch beginnt mit der Geschichte von Natachas Vater. Sie berichtet, wie es dazu kam, dass ihr Vater der Sekte beigetreten ist, die damals noch "Children of God" hieß. Sie berichtet unter welchen Umständen ihr Vater, Marcel, ihre Mutter kennenlernen und wie sie heirateten. Bis dahin waren die Erzählungen schon absolut befremdlich für mich, aber noch in einem ertragbaren Maße. Mir fiel es sehr schwer mich in die Situation hineinzuversetzen, weil ich für diesen Glauben nicht empfänglich bin.

Die Autorin berichtet von ihrem Leben und ihrem Leiden innerhalb der Sekte, die sich mit der Zeit umbenannt hat in "Family". Dies sollte klar machen, dass sie alle zusammengehören. Für mich war es besonders schwer zu verstehen, wie erwachsene Menschen diesem 'King David' (dem Oberhaupt der Sekte) wirklich glauben konnten, auf ihn gehört haben und seine 'Lehren' verbreitet haben. Jedes erwachsene Mitglied der Sekte durfte jedes Kind der Sekte maßregeln und erziehen, schließlich waren sie eine 'Family'. Im Lauf der Geschichte wurde die Lehren und Regeln immer absurder und Natacha musste mehr als einmal mit ihrer Familie in andere Länder umziehen, sich immer wieder neuen Gegebenheiten anpassen, sich wieder neuen Erwachsenen (Onkeln und Tanten) aussetzen und dabei blieben nicht selten diejenigen auf der Strecke, die ihr wichtig waren.

Es ist für mich wirklich unbegreiflich, wie man sich über Jahre derartig manipulieren lassen kann und das als Erwachsener. Sicherlich hatte das ein und andere Mitglied einfach schlichtweg seinen Spaß an der Ideologie dieser Sekte, aber das schien bei den Eltern von Natacha nicht der Fall gewesen zu sein. Ich könnte jetzt noch stundenlang darüber berichten, was Natacha geschrieben hat und wie ich zu diesen Sachverhalten stehe, aber ich empfehle: lest es.

Ich habe das Buch sehr gerne und mit Interesse gelesen. Es ist gut geschrieben und ganz ohne Effekthascherei. Natacha berichtet natürlich auch von Missbrauch, aber es liegt nicht das Hauptaugenmerk auf diesen Themen. Manche Passagen waren sehr kühl und analysierend beschrieben, bei denen ich dachte, das dort einfach mehr Gefühl drinstecken müsste, aber wahrscheinlich hat die Autorin einfach zu viel durchmachen müssen oder wollte bei ihren Erzählungen nicht auf die Tränendrüse drücken, was ich vollkommen verstehen kann. Für mich war es spannend zu lesen, wie Natacha ihre Kindheit und Jugend in dieser Sekte empfunden hat, wie sie schon immer ihre Zweifel an der Ideologie hatte und was im Endeffekt aus ihrer Familie geworden ist.

FAZIT: Meine Hochachtung
Ich kann für Natacha einfach nur größten Respekt empfinden. Ich finde es toll, dass sie dieses Buch geschrieben hat und die Umstände, die in dieser Sekte herrschen, dargelegt hat. Ich habe mich vorher noch nie wirklich mit diesem Thema beschäftigt, auch wenn man natürlich einiges darüber hört, sei es in der Schule oder aus dem Fernsehn. Ich bin froh, dass ich das Buch gelesen habe,  denn niemals hätte ich mir das Ausmaß der Grausamkeit und des Zwangs einer Sekte vorstellen können. Ich würde dieses Buch allen empfehlen: Lesern, die keine Kenntnisse über Sekten und ihre Vorgehensweisen haben und auch Lesern, die sich für das Thema interessieren und vielleicht noch nie was von "Family" gehört/gelesen haben. Dieses Buch gehört gelesen.