Rezension

Meisterhaft erzähltes Psychodrama.

Die Deutschlehrerin - Judith W. Taschler

Die Deutschlehrerin
von Judith W. Taschler

Bewertet mit 4 Sternen

Nachhilfestunde des Schicksals.

Die wunderbare Zeit himmelstürmender Gefühle, des Sich-Verlierens-Ineinander und der von Liebe erfüllten Tage und Nächte, wie sie bei einem jungen Paar so üblich ist, hat der Leser nicht erlebt – er lernt Mathilda und Xaver erst kennen, als ein Schreib-Workshop für Schüler den Jugendbuch-Autor Xaver an die Schule führt, an der Mathilda als Deutschlehrerin unterrichtet. Und das geschieht sechzehn Jahre nachdem Xaver von heute auf Morgen aus ihrer damaligen Zweisamkeit ausgebrochen war, sich ohne Erklärung aus ihrem Leben davonmachte und wenige Zeit später eine andere Frau heiratete, die das von Mathilda so sehnlichst gewünschte Kind mit ihm bekam.

Jahre der Entwicklung, des Veränderns, eine Zeit getrennt geführten Lebens liegen nun zwischen ihnen und lassen die ersten Kontakte zaghaft und zögerlich, tastend und neu-ergründend ausfallen. Emails werden ausgetauscht, die berichten, erklären und informieren, aber auch erinnern, fragen und anklagen.

Zwei unterschiedliche Lebenswege werden offenbar, zwei Schicksale, die auseinander gedriftet waren, begegnen sich wieder, indem einer dem anderen beichtet, Rechenschaft ablegt, Gefühle entblößt oder zu erklären versucht, was nicht verständlich scheint. Es ist ein Austausch zwischen beiden Menschen, der ungeahnte Einblicke in ihr Leben, ihre Familie und ihre Entwicklung gibt und dem Leser die Sicht aus überraschenden, teilweise schockierenden Perspektiven erlaubt. Man hat mehrfach während des Lesens den Eindruck, dass eine solche Offenheit während ihrer gemeinsamen früheren Lebensphase nicht zwischen ihnen geherrscht hat und erst diese neu-entstandene Situation mehr Klarheit und Ehrlichkeit gebracht hat.

Mit wachsender Spannung verfolgt der Leser die oft nur sparsamen, aber ungeheuer eindrucksvollen Botschaften, in denen zwei Menschen versuchen, Vergangenes aufzuarbeiten und auf der verlorenen Zeit eine Basis zu schaffen, die vielleicht aus der Kühle einer Entfremdung zurückführen kann zu früherem Empfinden.

Ein faszinierender Wechsel der Worte und Gedanken, dessen hoher Spannungsbogen den Leser in Atem hält, aber auch eine befremdende Kühle selten vermissen lässt.

Judith Taschler hat einen eindrucksvollen Roman geschrieben, der in flüssiger, wohl gewählter Sprache die Biographie zweier Leben in einem spannungsvollen Wechsel von Botschaften zu einem gesellschaftlichen Psychodrama werden lässt. Durch einen gewissen Abstand zu den Protagonisten bleibt der Leser außen und beobachtet aus dieser Distanz voll Ungeduld die ungewöhnliche Entwicklung, deren Ende lange Zeit Rätsel aufgibt, ob es eine Fiktion oder in der Realität beheimatet ist.

Absolut ungewöhnlich und meisterhaft erzählt.