Rezension

Melancholie und Ästhetik: ein literarischer Hochgenuss.

In Swanns Welt, 18 Audio-CDs
von Marcel Proust

Bewertet mit 5 Sternen

Ich habe Schlimmes erwartet und wurde positiv überrascht. Aber Geduld braucht man schon! Leichte Kost ist es nicht.

1913 kam der erste Band von Prousts Werk in den Handel. Ihm war zunächst kein Erfolg beschieden. Heute aber ist jedem Literaten Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" ein Begriff. Zu Recht! (Aber wenige werden sein Werk gelesen haben).

Heute kann man sich das großartige Werk von Marcel Proust „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ einfach vorlesen lassen. Die moderne Technik macht es möglich. Wenn man sich dem siebenbändigen Werk des französischen Romanciers, geboren noch im 19. Jahrhundert, denn tatsächlich annähern möchte, sollte man dies unbedingt mit Hörbuch tun. 

Die verschlungenen Sätze und seine detaillierten Schilderungen, die Prousts Markenzeichen sind, kann man unmöglich Wort für Wort lesen, man würde dabei verzweifeln und aus Verzweiflung einschlafen. Aus der Erwähnung beinahe jeden Substantivs, wird ein erläuternder Nebensatz (dessen Substantive wiederum zu neuen erläuternden Nebensätzen führen), dennoch verliert der Meister des Wortes natürlich niemals den Faden. 

INHALT: (auszugsweise)

,„In Swanns Welt“ (Band 1) begegnen wir mit dem kleinen Icherzähler, der ein sehr sensibler kleiner Junge ohne Spielkameraden ist, um nicht zu sagen, ein überspannter kleiner Romantiker, und seiner Familie, die im Sommer auf dem Land lebt, der Großbourgeoisie Frankreichs. Der Junge ist ödipös in seine Mutter verliebt, in die Natur, in diverse Mädels und lebt völlig in seinen Imaginationen. Proust zelebriert mit der Umgebung Combrays die Natur! Er beschreibt sozusagen jedes einzelne Blatt! Jede Nuance eines Gewitters. Jeden Schritt eines Spaziergangs. Jede Pflanze und jeden Baum! Tauben. Wenige Tiere.

Es sträuben sich einem die Haare über die vorherrschenden Erziehungsmodelle und die Umgangsformen der feinen Gesellschaft damals.  Allein das Ansinnen, mit einem von ihnen reden zu wollen, wird als frecher Affront betrachtet. Zuvor muss man doch vorgestellt werden. Und „die da (unten)“ sollen nicht denken, dass man mit ihnen bekannt gemacht werden wollte. Ein Dünkel herrscht da vor! Nach oben aber buckelt man. Leute, die mehr darstellen als man selber, sind grundsätzlich schön. Man starrt sie an voller Bewunderung und denkt stundenlang darüber nach, was sie gesagt haben mögen, wenn man sah, wie sie die Lippen bewegten, aber nichts hörte - was sie anhatten und wem wohl ihr Lächeln galt. (Es gab damals schon eine ausgeprägte Fankultur). 

Untereinander ist man sich oft nicht grün und hat die seltsamsten Gedanken und Vorbehalte. Man lächelt vorne, und stößt sich rücklings den Dolch in den Rücken. 

Na ja, so viel hat sich daran denn auch nicht geändert. 

Swann, die zweite Hauptfigur neben dem Jungen, ein seltsamer Hagestolz, hat (später) eine Mätresse. Vorher ist er gern gesehener Gast im Hause des Icherzählers.  Danach fällt er in Ungnade. Wegen seines Umgangs mit irgendwem (noch nicht wegen der Mätresse. Oder doch? Manchmal gibt es Zeitsprünge und es ist dann nicht ganz einfach, sich zurechtzufinden). Er ist nicht mehr standesgemäß und es wäre eine Schande, ihn weiter einzuladen. 

Swann kann sich nicht im Klaren darüber werden, ob er Odette liebt. Sie nützt ihn nach Strich und Faden aus, was er weiß, aber er liebt es, an der Eifersucht zu leiden. Plötzlich ist er verheiratet und hat ein Kind. (Den Übergang habe ich nicht mitbekommen oder er wurde nicht erzählt). 

LESEERLEBNIS:

Zeitweilig kochte ich vor Wut. Die feine Gesellschaft ist mir äußerst zuwider. Da ist eine eingebildet-kranke Tante, furchtbar. Wie sie ihre Angestellten runterputzt. Und sich wer weiß was denkt, wer sie sei. Bevor ich sie ganz und gar zu hassen beginne, sinkt sie doch in ihr kühles Grab. Gut so. Ich fürchtete, sie sei unsterblich, da raumgreifend. 

Manchmal verlor ich ein bisschen den Faden bei den tausenden, endlosen Relativsätzen. Das war nicht weiter schlimm, man kam immer wieder gut rein. Peter Matic liest so gut! Unaufgeregt mit schön nasalem Timbre. 

Doch dann spüre ich Paris, das ich relativ gut kenne, unter meinen Füßen. Ich sehe es. Ich fühle es. Und rege mich immer wieder über die Überspanntheit und Verstiegenheit des Jungen auf. 

EINSCHÄTZUNG:

Was mir an Prousts Stil und Werk gefällt, sind seine ausgeklügelten und langwierigen Betrachtungen über das Leben, das Träumen, die Schönheit, das Begehren, die Liebe, die Lust, das Verlangen, die Sehnsucht, die Eifersucht, die Bildung, die Literatur, über alles eigentlich. Auf diese Betrachtungen muss man sich einlassen. Es ist nicht so sehr die Handlung, die den Roman auszeichnet, es sind die hin- und herwandernden Lichter der literarischen Scheinwerfer, die Proust auf das ordinäre Leben seiner Zeit wirft. Personen werden in aller Ausführlichkeit beschrieben, aber merkt man einen Moment nicht auf, ist man ganz woanders gelandet. Vom Höxken aufs Stöcksken. Ja. Aber, dann auch wieder so schön. So schöne Worte. 

Eine gewisse moderate Gesellschaftskritik mag in der bloßen Abbildung ihrer Affektiertheiten mitschwingen. (Gelacht habe ich auch). 

Dann ist der Roman auch ein wunderschönes Kulturbild seiner Zeit!!! Und insofern nicht hoch genug einzuschätzen!

FAZIT: Proust ist ein Meister der Ästhetik. Auch ein Meister der Abschweifungen. Alles in allem aber, hat mir das erste Buch der „Suche nach der verlorenen Zeit“ wesentlich besser gefallen als erwartet und erhofft. 

Und die zarte Melancholie in allem hat mein Leseherz erobert! 

 

Kategorie: Weltliteratur. Anspruchsvolle Literatur.
Der Hörverlag. 2007. Danke.