Rezension

Melancholie, und immer wieder diese Melancholie

Morgen, morgen und wieder morgen -

Morgen, morgen und wieder morgen
von Gabrielle Zevin

Bewertet mit 4.5 Sternen

„Morgen, morgen und wieder morgen“ ist wahrscheinlich eines der meist gehyptesten Bücher aus dem vergangenen Jahr. Selten habe ich so viele begeisterte Stimmen zu einem Roman gelesen. Am schwersten wiegt für mich die Aussage „Donna Tartt mit Videospielen“. Zugegeben: Da ist was dran!

Es geht um Freundschaft. Um die Freundschaft zwischen Sadie und Sam, die anfangs Kinder sind, dann Heranwachsende und schließlich Erwachsene. Das erste Aufeinandertreffen erfolgt in einem Krankenhaus. Sadies Schwester hat Krebs und Sam erholt sich dort gerade von einem schweren Verkehrsunfall, dessen Folgen sein weiteres Leben prägen werden. Nach einem ersten Vertrauensbruch verlieren sich die beiden für Jahre aus dem Augen, nur um als Studierende wieder zusammenzufinden und eine gemeinsame Firma zu gründen. „Unfair Games“ entwickelt Videospiele, die zu globalen Hits werden. Doch die Freundschaft von Sadie und Sam bleibt trotz aller Erfolge von Missverständnissen und gegenseitigen Verletzungen durchzogen.

„Morgen, morgen und wieder morgen“ ist nicht nur ein Buch über Freundschaft, sondern auch eine Geschichte über die Entwicklung eines Genres der Unterhaltungsindustrie, ein Roman über die Neunzigerjahre, über den ganz großen American Dream und über die amerikanische Gesellschaft in ihren Extremen. Trotz des Umfangs scheint keine Seite zu viel. Scheinbar mühelos verflechtet Gabrielle Zevin die Handlung mit prägende Themen unserer Zeit. Es geht um Rassismus, Ableismus, Sexismus, Genderkampf und vieles mehr. 

Außergewöhnlich ist dabei die Art des Erzählens, für die sich die Autorin entscheidet. Es ist ein virtuoses Springen zwischen Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit. Begebenheiten werden an entscheidenden Stellen unterbrochen und später dann auf einer anderen Zeitebene zu Ende erzählt. Das habe ich in dieser Form bei all den Büchern in meinem Regal noch nicht gesehen. 

Dabei werden ambivalente und widersprüchliche Charaktere gezeichnet, deren Handlungen nicht immer nachvollziehbar, aber schrecklich menschlich erscheinen. 

Die Freundschaft zwischen Sadie Green und Sam Masur bildet den emotionalen Kern des Romans und gleichzeitig ist diese Emotion mein einziger Kritikpunkt. Die Missverständnisse und die Kränkungen, die sich die beiden Protagonisten gegenseitig zufügen, sowie die daraus resultierenden Phasen der Funkstille, ziehen sich wie ein roter Faden durch ihre gemeinsame Geschichte und überwiegen die guten Zeiten. Gewissermaßen habe ich kaum etwas von diesen guten Seiten gelesen, sodass ich rückblickend nicht richtig auf persönlicher Ebene nachvollziehen konnte, was diese Freundschaft so tief und die Gefühle so stark macht.

„Morgen, morgen und wieder Morgen“ ist atmosphärisch geprägt von einem Gefühl der Melancholie und des Weltschmerzes. Nachdem ich das Buch zugeklappt hatte, habe ich mich gefühlt, als würde ich auf mein eigenes Leben zurückblicken, und irgendetwas schmerzlich bereuen. Man wartet beim Lesen die ganze Zeit darauf, dass es irgendeine Form von glücklichem Zusammensein für alle Personen gibt, aber die Geschichte ist so groß und so umfangreich. Ähnlich wie das richtige Leben. Nach jedem Hoch gibt es hier ein Tief und so schlittert man mit den Protagonisten von einem Schicksalsschlag durch die Jahre bis hin zum nächsten. 

Ich denke über „Morgen, morgen und wieder morgen“, dass es sich ein aus der Masse herausstechendes Buch handelt. Eines, wie es sie nur alle paar Jahre mal gibt. Das die Fähigkeit hat, über zahlreiche Seiten hinweg Lesende in seine Welt einzusaugen und das das Zeug zum Klassiker der amerikanischen Literatur hat. Gehört es zu meinem persönlichen Lieblingsbüchern? Tatsächlich nein. Dazu habe ich die Freundschaft von Sadie und Sam zu wenig gespürt, dazu hätte ich tiefer emotional in diese Freundschaft involviert sein müssen. Werde ich es irgendwann nochmal lesen? Ganz bestimmt. Weil ich nicht glaube, dass einmal reicht, um diese Geschichte vollständig zu erfassen.