Rezension

Menschliche Abgründe, toller Schreibstil

Gone Girl - Das perfekte Opfer - Gillian Flynn

Gone Girl - Das perfekte Opfer
von Gillian Flynn

Bewertet mit 4 Sternen

Es ist der fünfte Hochzeitstag von Amy und Nick Dunne – der Tag, an dem Amy verschwindet.
Amy und Nick sind ein junges Ehepaar mit unterschiedlichem Background. Sie entstammt dem US-Ostküstenadel, die Eltern machten sie schon als Kind zur Protagonistin ihrer Buchreihe Amazing Amy und sie selbst so zu einer Kultfigur, beruflich sie schreibt Psychotests für Zeitschriften.

Er kommt aus der Provinz in den Südstaaten, ist in kleinbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen und versucht in New York Karriere als Journalist zu machen. Zunächst leben beide ein Brooklyn-Boheme-Leben auf solidem finanziellem Niveau. Alles ändert sich, als Nick im Zuge der Wirtschaftskrise seinen Job verliert und beide in seine Heimat umziehen wo Nick gemeinsam mit seiner Schwester eine Bar eröffnet.

Als Nick an seinem Hochzeitstag nach Hause kommt, muss er feststellen, dass seine Frau verschwunden ist. Es gibt Blutspuren im gemeinsamen Haus und Hinweise auf ein Verbrechen, eine Entführung. Ein Bekennerschreiben oder Lösegeldforderungen treffen aber nicht ein. Dafür meldet sich Amy dem Leser gegenüber selbst zu Wort und erzählt in einem parallelen Strang, was vor und während ihres Verschwindens passiert(e).

„Gone Girl“ ist in den USA ein Riesenerfolg, wurde dort geradezu gehyped. Schaut man sich die Reaktionen deutscher Leser und Rezensenten an, zeigt sich oft ein ganz anderes Bild. Die Reaktionen reichen von Enttäuschung über ein Buch das seinem Hype nicht gerecht wird bis zu regelrechten Verrissen. Warum ist das so? Zuerst ist es sicher irreführend, dass es bei uns oft unter dem Label „Thriller“ geführt wird, denn das Buch ist von einem Thriller weit entfernt. 

Im Kern geht es nicht um ein mögliches Verbrechen an einer jungen Frau und deren Aufklärung. Es um etwas anderes. Die Geschichte transportiert Aussagen, wie: „Des Menschen größter Feind ist der Mensch“, „Jeder ist sich selbst am nächsten“ und „Auch der, der dir lange Zeit am nächsten steht, bleibt dir fremd“. Es geht darum, wie Menschen miteinander umgehen, wenn der schöne Rahmen bröckelt, wenn man in Wirtschaftskrise, Geld- und/oder emotionalem Mangel auf sich zurückgeworfen wird.

Die Autorin beschreibt ein Land in der Krise, ein Land am Ende und zeichnet dadurch ein Bild von Amerika das aus europäischer Perspektive fremd erscheint, im eigenen Land aber vielleicht um so besser verstanden wird. Der kulturelle und gesellschaftliche Hintergrund, vor dem das Buch gelesen wird, könnte eine weitere Ursache für die so unterschiedliche Beurteilung sein. 

Abgesehen davon macht das Buch es dem Leser auch aus anderen Gründen nicht leicht. Die Protagonisten sind unsympathisch, nerven teilweise richtig und laden nicht ein, sie durch die Geschichte zu begleiten. Die Geschichte selbst ist eigentlich nicht ergiebig genug für die Seitenzahl und direkt nach Ende des letzten Satzes war meine erste Reaktion nicht wirklich positiv.

Trotzdem habe ich das Buch ohne Buchhändlerinnen-Schnellscanphasen in einem Rutsch gelesen, denn begleitet durch die Geschichte hat mich die Autorin selbst, eine Autorin, die ihr Handwerk versteht und die eine wenig ergiebige Geschichte mit furchtbaren Protagonisten sehr gut erzählen kann. Jetzt, mit etwas Distanz stelle ich auch fest: Das Buch wirkt nach, beschäftigt mich und viele Bilder aus der Geschichte sind noch sehr präsent - und das schafft nur ein wirklich gutes Buch.