Rezension

Messerscharf erzählt

Kindheit
von Tove Ditlevsen

Bewertet mit 4.5 Sternen

Kindheit ist der erste Band von Tove Ditlevsens Kopenhagen-Trilogie, die im Original 1967/71 erschienen ist. Die Autorin lässt uns teilhaben an ihren ersten Lebensjahren als Kleinkind bis zur Konfirmation.

Die Autorin erzählt nüchtern, gleichzeitig messerscharf von ihrer Kindheit in den 1920ern im Arbeiterviertel von Kopenhagen, der Vater arbeitsloser Heizer, die Mutter Hausfrau. Tove’s Mutter scheint unzufrieden mit ihrem gewählten Schicksal, einzige Lichtblicke für sie sind Kaffeekränzchen mit Ihren Freundinnen oder Verwandten. In meiner Wahrnehmung hat sie wohl unterm Stand geheiratet. Für Tove, die wie der Rest des mütterlichen Lebens eine Enttäuschung zu sein scheint, kann sie wenig Zuneigung aufbringen. Lieber nutzt sie das Kind für unliebsame Botengänge aus. Der Vater ist überfordert, sich mit Tove zu beschäftigen, weil sie ein Mädchen ist und Mädchen die Sache der Mütter sind.

Dabei ist Tove ihrer Zeit, die von Armut und Hunger geprägt ist, mit ihrem Interesse für Bücher und Lyrik weit voraus und hätte Förderung verdient. Obwohl ihr diese verwehrt bleibt, lässt sich Tove von ihrem Traum, Schriftstellerin zu werden, nicht abbringen. Immer wieder schreibt sie Gedichte über Sehnsucht und Liebe in ihr Poesiealbum. Für uns Leser*innen sind diese kleinen Highlights an passender Stelle im Roman eingeflochten.

Mit der Übersetzung dieser Trilogie erreicht die Leserschaft ein Zeitzeugenbericht, der klar und ohne Gefühlsduselei dokumentiert, wie entbehrungsreich und schwer erträglich das Leben zwischen den Weltkriegen für die einfachen Leute war. Ich war schockiert, dass schon das Kind Tove an den Tod als etwas Liebliches bzw. Erlösenden gedacht hat.

Auch wenn ich durch den dokumentierenden Stil nicht ganz nah an die Figuren herankam, hat mir der Roman gut gefallen. Ich bin fasziniert, dass die Autorin mit relativ wenigen Worten ihre Erinnerungen an die Kindheit auf den Punkt bringt.

Gern spreche ich eine Leseempfehlung aus. Ich selbst werde auch die beiden weiteren Bände lesen.