Rezension

Mir hat das Menschliche gefehlt

Ein Hof und elf Geschwister -

Ein Hof und elf Geschwister
von Ewald Frie

Bewertet mit 3 Sternen

Der Autor, selbst Historiker, sieht seine Familie als “Tor zu einer Geschichte der Bundesrepublick”. Für seine Recherche ist er von Tübingen, ins Rheinland, nach Westfalen und bis zur Ostsee gereist, um mit seinen Geschwistern Interviews zu führen und zu erruieren, wie sie die damalige Zeit wahrgenommen haben. 

Zwischen den Jahren 1944 und 1969 gebar die Mutter von Ewald Fried elf Kinder, das war, wie sich im Laufe des Buches zeigt, ungewöhnlich. Die Eltern des Autors waren im katholischen Münsterland Landwirte, genau wie ihre Eltern. Tatsächlich wollten nur die beiden ältesten Söhne in die familiären Fußstapfen treten, die anderen erlangten zumeist die Hochschulreife und traten in akademische Berufe. 

In der Nachkriegszeit galten noch strenge Traditionen. Während des Hofhaltens kamen die anderen Geschwister und Schwager der Eltern zur Visite und begutachteten Kühe und Kälber. Die Mutter zeigte ihren Schwestern und Schwägerinnen den Garten und anschließend die Kartoffel- und Äpfelvorräte, einschließlich eingewecktem Obst im Keller. Zuvor hatten alle Kinder gemeinsam die Ställe ausgemistet, Gänge und Stallfenster geputzt und eine letzte Rinderwaschung vorgenommen. 

Die Arbeiten wurden streng getrennt, die Mädchen halfen zusammen mit den Stützen (Haushaltshilfen) in Haus, Küche und Garten, die Jungen auf dem Feld und in den Ställen. Die Arbeit war hart, der Miststreuer kam erst 1960. Vater Frie hatte mit fünfzig Jahren seine beste Zeit hinter sich. Der Rücken tat weh, wenig später kamen noch Gicht und Rheuma hinzu. 

Als die künstliche Besamung 1950 aus Dänemark kam, konnten mit einer Besamung 1.500 Kühe trächtig werden. Auf einen Bullen kamen 50 Kühe. Damit wurde die Rinderzucht uninteressant und die preisgekrönten Bullen seines Vaters, arbeitslos. Man setzte jetzt mehr auf Milchwirtschaft.

Katholizismus spielte immer noch eine große Rolle. Die Mutter war überzeugte Gläubige. Die Kirche gab den Kindern neue Aufgaben, als ihre Arbeit größtenteils durch Maschinen ersetzt wurde. Bis dahin waren sie meist unter sich auf dem Hof gewesen. Mit den protestantischen Flüchtlinge wollte niemand zu tun haben. 

Fazit: Die Geschichte soll vom Wandel und den Erfahrungen dieser Zeit handeln und den Emotionen, die das hervorrief. Ersteres Anliegen ist gelungen, von Emotionen allerdings habe ich nichts gespürt. Den Anfang fand ich arg anstrengend, auch weil auf den Seiten 16 – 21 etwa 30 Mal das Wort Bauerschaft fällt. Ich hätte mir etwas mehr Storrytelling gewünscht, nicht nur knochentrockene geschichtliche Hintergründe, das hat mich erschlagen. Zwischen den informativen, teils unterhaltsamen Rückblicken, erfahre ich ein wenig darüber, dass sein Vater laut werden konnte und sehr genau gearbeitet hat, die Mutter hat viel gebetet, war sehr eigenständig und auch kirchlich organisiert. Ansonsten, hat mir das Menschliche völlig gefehlt. Das mag nicht der Anspruch des Autors oder des Varlags gewesen sein, es hätte den Text aber ungemein lockern und auffrischen können.