Rezension

Missachtung von Care-Arbeit und Dominanz-Systeme als fatale wirtschaftliche Fehler

Die verkannten Grundlagen der Ökonomie - Riane Eisler

Die verkannten Grundlagen der Ökonomie
von Riane Eisler

Bewertet mit 5 Sternen

Die Corona-Epidemie hat uns in alarmierender Weise gezeigt, dass sich Krisen der Gegenwart nicht mit Denkweisen und Strukturen der Vergangenheit lösen lassen. Mit der fatalsten Denkfalle, der Abwertung der Erziehungs- und Pflegeleistung von Frauen, hat sich Riane Eisler seit Jahren befasst. Ihre von der Flucht ihrer Familie vor dem Nationalsozialismus geprägte persönliche Biografie hat die Autorin vermutlich dafür sensibilisiert, wie sog. Dominanzsysteme funktionieren und auch nach Generationen noch das Denken bestimmen. Ein Dominanzsystem geht von der Überlegenheit einer Gruppe über eine andere aus, sie ignoriert deren Leistungen und spricht ihr Rechte ab. Das gilt für das hierarchische Verhältnis von Männern gegenüber Frauen, Menschen über die Natur und die Beziehung zwischen Staaten.  Merkmal von Dominanzsystemen sei stets, dass sie extrem unwillig seien, sich zu verändern und Gewalt zu ihrer Erhaltung als legitim betrachtet wird.

Mit einem weitem Bogen von der Antike zu Diktaturen und Staaten der Gegenwart  beschreibt Eisler ein Menschenbild, in dem Männer Frauen und Kinder besitzen, Frauen nicht über ihr eigenes Vermögen entscheiden und kaum an politischen Prozessen partizipieren, wo in Pflege und Erziehung die niedrigsten Löhne gezahlt werden, Care-Arbeit noch immer ungleich verteilt ist und in einer Abwärtsspirale schließlich wirtschaftliche Fehlentscheidungen zur Zerstörung unserer Lebensgrundlagen führe. All das lässt sich auf die mangelnde Anerkennung von Fürsorge und Partnerschaft zurückführen. Das Ignorieren der Care-Arbeit sieht Eisler ähnlich wie eine falsche Bilanz, in der sowohl der Aktivposten Human-Kapital als auch die Arbeitsleistung der Hälfte der Bevölkerung ignoriert wird. Unvollständige Daten würden zwangsläufig zu falschen Entscheidungen für das „Unternehmen“ Menschheit führen. Wirtschaftlich erfolgreiche Staaten mit einer hohen Zufriedenheit der Bürger (Beispiel Skandinavien) zeichneten sich dagegen heute dadurch aus, dass Frauen gleichberechtigt im Berufsleben und in der Politik stehen, Care-Arbeit geteilt würde und der Druck auf Männer sinken würde, sich besonders „männlich“ verhalten zu müssen. Eisler weist ebenfalls nach, dass Armut weiblich ist und allen Menschen schade, wenn Kinder durch ein schlechtes Bildungs- und Gesundheitssystem beeinträchtigt wären.

Dominanz-Systeme halten sich so hartnäckig, weil ihre Normen sich auf eine historische und religiöse (jüdisch-christliche) Basis stützen,  in der Menschen die Verhältnisse für nicht veränderbar halten. Den Einfluss von u. a. Religion und Zölibat auf unsere Werte fand ich hochinteressant (A World Without Women 1992 oder Die Hosen des Pythagoras 2002). Damit wir die Probleme der Gegenwart in Angriff nehmen können, müssen wir zunächst die Denkfehler von Wirtschaftstheoretikern und den Tunnelblick von Historikern überwinden lernen, die bisher 50% der Menschheit ignorierten. Nicht zuletzt der Diesel-Skandal in Deutschland hat uns eindringlich gezeigt, welch fatale, kostspielige Fehlentwicklungen Dominanz-Systeme hervorbringen.

Eisler scheut sich nicht, jegliche Gewalt als unnötigen Kostenfaktor zu verdammen und Share-Holder-Denken, Einfluss von Mega-Konzernen, Korruption, Lobbyismus wirtschaftlich betrachtet als gigantische Verschwendung von Mitteln zu erklären, die an anderer Stelle wirksamer eingesetzt werden könnten.

Persönlich hat mich beeindruckt, wie lange Eisler schon zu ihren Themen forscht und welch originelle Verknüpfungen sie dabei entdeckt, z. b. die Verbindung zwischen Dominanzstruktur, Kolonialismus und Umweltzerstörung oder D, Gewalt, Patriarchat, rigiden Männlichkeitsnormen und lebensfeindlicher Umgebung (Griffith 2003).

Mit dem schwer ins Deutsche zu übersetzenden Begriff Caring-Ökonomie und nach einer durch die wissenschaftliche Sprache eher sperrig zu lesenden Einleitung kommt Riane Eisler zu miteinander verknüpften, leicht nachzuvollziehenden Kernpunkten, die gemeinsam angepackt werden müssen. Auch wenn sie auf den zitierten Gebieten unterschiedlich bewandert ist, lohnt es, sich ihre interdisziplinäre Sichtweise zum Vorbild zu nehmen.  Über diese Kompetenz verfügen Politiker selten – und genau das hat die Menschheit in die aktuelle Situation gebracht.