Rezension

Mit Blaulicht

Arztroman - Kristof Magnusson

Arztroman
von Kristof Magnusson

Bewertet mit 3 Sternen

Anita Cornelius ist Notärztin an einem großen Berliner Krankenhaus und liebt ihren Beruf. Sich auf unerwartete Situationen einzustellen, entspricht ihrem Temperament. Auch wenn es bei ihren Einsätzen nicht immer so aufregend zugeht, wie man sich das vorstellt. Anita ist das recht. Sie kann helfen. Und ab und zu sogar jemandem etwas Gutes tun.
Adrian, ihr Exmann, ist Arzt am selben Krankenhaus. Sie haben sich erst vor kurzem in bestem Einvernehmen getrennt, und Lukas, ihr vierzehnjähriger Sohn, lebt bei seinem Vater und dessen neuer Freundin Heidi. Hätte Anita Adrian nicht zufällig bewusstlos auf der Krankenhaustoilette gefunden, zugedröhnt mit einem Narkosemittel, und hätte Heidi nicht dauernd diese flotten Sprüche losgelassen, dass jeder seines Glückes Schmied ist, dass Arme und Kranke oft genug selbst an ihrem Zustand schuld sind, dann könnte sich Anita weiter vormachen: alles ist in bester Ordnung. Ist es aber nicht. Weder privat noch beruflich. (Verlagsseite) 

Magnusson segelt mit seinem dritten Roman, ähnlich wie beim ersten, "Zuhause", hart an der Realität; er bildet die Wirklichkeit ab, erschafft keine neue. Er schneidet gleichsam ein Stück Alltagslebens einer Notärztin aus und präsentiert es.
Eine ganz normale Familiensituation: Ein Paar hat sich mit der Trennung arrangiert, die beste Regelung für das gemeinsame Kind getroffen und lebt einvernehmlich. Auch Anita kommt mit der Lösung klar; dass der Sohn Lukas bei seinem Vater und dessen neuer Freundin lebt, bejaht sie. Wenn da nicht ein Stachel wäre, den sie sich selbst nicht eingesteht. Und wenn Heidi ihr sympathischer wäre. Und wenn Adrian sich nicht von Zeit zu Zeit wegspritzen würde. Und wenn Lukas sich bei Diskussionen auf die Seite seiner Mutter schlagen und mehr mit ihr unternehmen würde. 

Der Autor erzählt leidenschaftslos, bewahrt den gesamten Roman über das gleiche Tempo; Zeitsprünge überwindet er formal, setzt Abschnitte oder Kapitel. Erzählzeit und erzählte Zeit sind durch die Dialoge und Gedanken der Personen – meist Anitas – oft deckungsgleich.
Zu allen Figuren baut der Leser eine ähnliche Distanz auf, auch zur Protagonistin. 

Es geschieht nur, was jeder im Alltag erlebt, Streit und Versöhnung, Missverständnisse und Aussprachen, Verliebtheit und Zweifel. Gerade weil man als Leser mit solchen Situationen vertraut ist, spürt man meist im Voraus, wohin der Hase läuft und was jetzt wieder schief gehen wird. Daher könnte man Anita beim Hals nehmen und schütteln, wenn sie wieder etwas besonders geschickt und findig einfädelt, und man ahnt, dass sie sich verrennt. Es ist wie im Leben: Will man etwas besonders gut machen und für sich und die anderen das Beste erreichen, geht die Sache oft daneben und man erntet Kopfschütteln statt Applaus. 

Der Autor spielt ironisch mit seinem Titel, weil er nicht den typischen Arztroman-Protagonisten einführt, den aufopferungsvollen Helden und Halbgott in Weiß, sondern eine Frau, die sich bemüht, ihre Arbeit ordentlich und auf der Basis ihrer Ausbildung und Routine zu machen, Alltag auf dem Rettungswagen.
Magnusson holt den Arzt als Protagonisten auf den Boden. Auf den Boden der Literatur und der Erde. 

Man darf von diesem Roman keine herausragende Handlung, keinen Spannungsbogen und keine schnellen Wendungen erwarten, sonst ist die Enttäuschung vorprogrammiert. Wer einfache Geschichten, gern auch mit skurrilen Einschüben mag und das Alltägliche dem Spektakulären vorzieht, ist mit diesem Roman gut beraten. Ein literarischer Clou wie "Das war ich nicht" ist „Arztroman“ leider nicht.