Rezension

Miträtseln erwünscht

Krokodilwächter
von Katrine Engberg

Bewertet mit 4 Sternen

Die Bezeichnung "Thriller" ist nicht ganz treffend. "Krokodilwächter" ist eher einer dieser langsamen Ermittlungskrimis, in denen ein gegensätzliches Kommissaren-Duo einer Vielzahl von Spuren folgt und sich allmählich ein vollständiges Bild ergibt. Und weil es sich hier um einen skandinavischen, genauer gesagt dänischen, Reihenauftakt handelt, sind die Figuren fast alle etwas seltsam-verschroben. Eine Kombination, die mir persönlich immer gut gefällt.

Vor allem, wenn es so mysteriös wird, wie in diesem Fall: In einem Mehrfamilienhaus in Kopenhagen wird Studentin Julie ermordet und ihr Gesicht auf bizarre Weise zerschnitten. Verdächtige gibt es zuhauf: ein junger Mann, der unglücklich in Julie verliebt war, ein dominanter Vater, eine Stiefmutter, ein tyrannischer Galerist, ein enttäuschter Ex-Liebhaber und einige mehr ... nicht zuletzt wäre da noch Rentnerin Esther, die den Mord an ihrer Nachbarin fast detailgenau kurz zuvor in dem Entwurf zu einem Thriller beschrieben hat. Wie passt das ins Bild? Der frisch verlassene Kommissar Jeppe Kørner und seine glücklich liierte Kollegin Anette Werner stehen vor etlichen Rätseln.

Der ersten Hälfte würde ich bedenkenlos fünf Sterne geben - guter Schreibstil, mysteriöse Fährten, keine Längen, vorausgesetzt man mag diese Art von nordisch-trägem Krimi. Sehr schade, dass die Autorin bei der Charakterisierung von Kommissar Jeppe Kørner auf die üblichen Klischees zurückgreift (Polizist mit kaputter Ehe und Suchtproblem) und den Personen trotz interessanter Viten nicht die Persönlichkeitstiefe verleiht, die sie bräuchten, damit man die Auflösung des Falles locker schlucken kann. Die Mischung aus Manipulatin und Gutgläubigkeit, die man am Ende serviert bekommt, ist zwar teilweise überraschend und gut zusammengewebt, will aber trotzdem nicht ganz plausibel erscheinen. Im letzten Drittel löst sich die Geschichte nicht mehr recht vom Papier, wirkt zunehmend ausgedacht, während Jeppe zu meinem Leidweisen in Liebesdingen weiter auf Klischeekurs steuerte und Anette Randfigur blieb.

Insgesamt trotzdem ein vielversprechendes "Thriller"-Debüt, das mit seinem Mix aus sachlicher Polizeiarbeit und einem komplexen Spurennetz überzeugt, sich aber nicht tief genug in die eigenen Abgründe begibt, um auf ganzer Linie zu glänzen. Ich habe das Buch aber gerne gelesen und sicher werde ich auch dem zweiten Teil eine Chance geben, hoffe aber, dass sich die Autorin bei ihren arg facettenlosen Ermittlern noch mehr ins Zeug legt, denn sonst könnte mein Interesse schnell abebben.