Rezension

Mitreißend, schockierend, perfide. Ein Lehrstück für unsere Gesellschaft!

The Black Coats - ... denn wir vergeben keine Schuld - Colleen Oakes

The Black Coats - ... denn wir vergeben keine Schuld
von Colleen Oakes

Bewertet mit 4 Sternen

"Ihr seid handverlesen von einem Dutzend ehemaliger Black Coats, die zahllose potenzielle Rekrutinnen geprüft und aussortiert haben. Ihr seid dazu berufen, jene rumreiche Aufgabe zu erfüllen, die ihr unter eurem Vertrag gelesen habt: Vous soulevez, femmes de la vengeance. Übersetzt bedeutet das: >Erhebt euch, ihr Frauen der Vergeltung<, und ihr werdet euch erheben." (Nixon, Seite 65)

Bewertung: 
Ab hier würde sich ihr Leben ändern, oder es war zu Ende. Der Moment hatte für sie entschieden. Jetzt ging es nur noch voran. Das Herz der Vergangenheit schlug nicht mehr. (Thea, Seite 29) 

Das Buch unterscheidet sich sehr von ihren übrigen leichten und humorvollen Werken von ihr. Es ist mit ernsten und wichtigen Gesellschaftsthemen gespickt, auch wenn sich ihr Humor wiederfinden lässt. Das zeigt aber, dass der Autorin die Thematiken und die Geschichte wirklich am Herzen liegen. Es ist mein erste Buch der Autorin, weil es mich - anders als die anderen - von den Thematiken und der Ernsthaftigkeit der Autorin wirklich locken konnte. 

..., alle trugen gelbe Gummihandschuhe und putzten kleine, feine Porzellanteller. Thea hielt einen Teller hoch und begutachtete ihre Arbeit. "Selbstjustiz hatte ich mir eigentlich anders vorgestellt." Sie seufzte. "Mehr Batman, weniger Putzfrau." (Seite 89) 

Super gelungen finde ich das Cover, weil es schlicht, gleichzeitig mysteriös und zu Titel und zur Geschichte stimmig ist. Düster, jugendhaft, aber auch nicht vielsagend. Das macht einfach neugierig - also mich! ? Der Schreibstil ist was holprig, ist aber für mich hier nicht als schlecht zu bewerten, da mich die Passagen der jeweiligen Szenen mitnehmen und fesseln konnten. Die Erzählung baut auf Mitgefühl für die die jungen Frauen, die den Leser in die Gefühlszwänge bringen sollen - ganz nach unserer Realität. Denn wer kann jemanden die Rache verwehren oder aussprechen, der seine emotionalen Gründe aufgrund eines Traumas darlegt?! 

"Thea, sag mir, worin besteht deiner Meinung nach der Unterscheid zwischen Rache und Gerechtigkeit?" 
"Nun ja, ich würde sagen, dass Gerechtigkeit anderen dient, während Rache für niemanden ist außer uns selbst."
(Robin und Thea, Seite 139) 

Der Ansatz zum Thema Gewalt und Rache ist der Autorin wirklich gelungen! Der Einstieg ist bereits brutal und schockierend, gerade zu perfide und voller Momente aus dem wahren Leben! Ich lese solche Geschichten gerne, weil ich mich in vielem wiederfinde und diese auch sehr gerne unterstütze. Geschichten wie diese sind mehr als bloß Mord, Schmalz und Happy End. Sie berichten vom wahren Leben und greifen Gesellschaftsthemen auf, die ungern an die Öffentlichkeit gebracht und tabuisiert werden. 

Zahlreiche Schemen lösten sich aus den Schatten und bewegten sich auf die Mädchen zu. Die Hände tauchten auf und entzündeten Kerzen in der Dunkelheit. "Ich wusste es!", zischte Mirabelle mit einem ängstlichen Zittern in ihrer sonst so forschen Stimme. "Sie opfern unser jungfräulisches Blut." 
"Sagt dem Rest der Welt, dass wir sie vermissen werden", flüsterte Casey trocken. (Seite 131/132) 

Die vielen verschiedenen Charaktere sind realistisch mit ihren Gedanken- und Gefühlsgängen erstellt worden. Neben den ernsten Themen Gewalt gegen Frauen, Rache und Machtmissbrauch, fädelt die Autorin immer wieder etwas Humor in die Handlungen und lässt mit manch sarkastischen Dialogen ein Schmunzeln, ja, auch Lacher zurück! ? Besonders zwischen ihren Mädels im Banner-Team und Drew und ihr wird es hin und wieder schmunzelhaft und herrlich leicht. Es gibt aber auch Szenen, die einen trockenen Humor tragen, was diese für mich jedoch noch glaubwürdiger machen. Das Leben ist voll gepackt mit Witz inmitten der Grausamkeiten. 

Drew stellte sein Tablet ab und lehnte sich zurück. "Machst du es dir immer gleich überall bequem?", erkundigte sich Thea. Er biss genüsslich in seinen Cheesburger. "Ich bemühe mich. Wie ist es mit dir, Thea Soloman?" "Ich fühle mich eigentlich nirgendwo richtig wohl." Drew grinste: "Dann passen wir doch perfekt zusammen." Thea wurde rot. "So habe ich das nicht gemeint", fuhr er hastig fort. "Tut mir leid. Aber du machst mich einfach nervös." 
Thea hätte beinahe ihren Apfel ausgespuckt. "Ich mache dich nervös? Ich kenne dich doch gar nicht, und du kommst einfach an und setzt dich zu mir in meine ..." 
"Herzerfrierende Mittagsecke?" (Seite 56/57) 

Silah ist der Einzige in der Organisation, der weiß statt schwarz trägt: "Ich gehöre zu ihnen, aber ich bin kein Mitglied." Passt auch sehr sinnbildlich zum Gedankengut der Organisation: 

"Du solltest mich fangen, und das hast du nicht." 
"Na ja, ich hätte dich beinahe gehabt", antwortete Thea beschämt. 
"Beinahe ist in dieser Welt nichts wert. Du sorgst entweder für Gerechtigkeit oder du hast versagt." 
"Das ist sehr schwarz-weiß." 
"Gerechtigkeit ist nun mal so. Anders geht es nicht." 
(Sahil und Thea, Seite 116) 

Und es ist eine gefährliche Denkweise. Anders geht es immer. 

"Trauer ist das letzte bisschen Liebe, das wir jemanden geben können. den wir verloren haben. Man muss aber nicht immer traurig sein." 
(Theas Mutter zu Thea, Seite 281)

Sehr schön hat die Autorin nicht nur die Auswirkungen von Trauer und Traumaerfahrungen realistisch wiedergegeben, sie hat auch das wichtige Thema Macht reinfließen lassen - diese ist schwerlich zu trennen bei Rachegefühlen und Racheausübung. Meine Vermutung, wie sich die Organisation entwickelt und warum, trafen ins Schwarze, dennoch wurde ich von einigen Handlungen überrascht. Ab der Mitte der Geschichte stellt sich mehr und mehr die Frage, was die Organisation wirklich bezweckt, was hinter den vielen Geheimnissen steckt und welche Beweggründe einzelne Mitglieder haben. Die Frage um die Nutzung von Macht wird immer wichtiger und gefährlicher ... es liegt in unserer menschlichen Natur und nur wenige von uns werden nicht durch sie verdorben. Das beste Beispiel hierfür, dass mir einfällt, ist der Lehrer Ron Jones, der 1967 im kalifornischen Palo Alto an einer High School das Experiment "Die Welle" eröffnet hat. Anfangs noch mit guten Absichten als Lehrstück für die Klasse gedacht, wurde es irgendwann auch ein Machtinstrument für ihn, das er genoss. (Das Buch ist klasse und beinhaltet auch ein Interview mit dem Lehrer, der Film ist nicht so gelungen umgesetzt, finde ich.) Der größere Schock war für mich fraglos, dass ich dieses Machtgefühl und diese Art der Anerkennung sehr genossen habe. Diese Grenzüberschreitung von gut gemeinter Hingabe zu eskalierender Machtausübung findet sich auch hier in der Geschichte wieder. 

"Manchmal ist es ein Geruch oder ein Lied oder vielleicht eine Erinnerung, die zum schlechten Zeitpunkt hochkommt. Trauern ist ein Kampf gegen eine unsichtbare Flutwelle." (Nixon zu Thea, Seite 90) 

Es sind auch einige Unstimmigkeiten, vor allem Logikfehler, in dem Handlungssträngen vorhanden; Die Black Coats benutzen keine Waffen, Thea kann aber eine sichern und entladen? Irrwitzige Szenen (kann hier keine Beispiele ohne Spoilergefahr aufführen), die gar nicht realistisch sind, werden miteingefügt. Das finde ich sehr schade und ärgert mich auch. Auch sind die Aufklärungen über die wahren Beweggründe der Organisation widerstrebend (auch hier kann ich nicht spoilerfrei Beispiele nennen). Erst so ... dann so ... total unlogisch und nicht nachvollziehbar! 

Er rannte, als könne er vor seiner Traurigkeit davonlaufen, dabei war Trauer wie ein hungriges Tier, das seine Beute jagte. Die Trauer würde ihn immer wieder einholen. (Seite 230) 

Leider hat die Autorin nicht die Bedeutungen der verschiedenen Gruppennamen erklärt, sodass das auch nach Abschluss des Buches offen steht. Das Ende selbst ist geschlossen und die Fragen, die sich während des Verlaufes bilden, werden geklärt. Das Ende gefällt mir genauso gut wie der Anfang und spielt fern der Wirklichkeit um Thea in der Gegenwart. 

Fazit: 
Ungerechtigkeit an irgendeinem Ort bedroht die Gerechtigkeit an jedem anderen.
(Martin Luther King Jr.) 

Generell ist es ein Buch mit einer Geschichte, die jeden von uns ansprechen sollte - aus welchen Gründen auch immer ... Traumatas; Gefühle wie Rache, Trauer, Wut, Verzweiflung, Hilflosigkeit, Ängste; Vergebungsvorsätze, Erlösungswünsche und auch psychischen Erkrankungen. 

"Du kannst nicht vorwärtskommen, wenn du woanders stecken geblieben bist. Trauer kann verhindern, dass du weiterkommst. Sie wird dich immer begleiten, und trotzdem musst du sie hinter dir lassen." (Sahil zu Thea, Seite 119) 

Rechtfertigt Gewaltanwendung Rache? 
Befreit Rache wirklich die Seele oder eher das Ego? 
Ist Vergebung möglich? 
Wie erlange ich Frieden und Erlösung? 

Thematiken, die dieselben Fragen aufwerfen wie die zum Thema "Todesstrafe". Und aber auch: Wie setze ich meine Macht ein? 

"Warum darf ich nicht anziehen, was ich will, ohne einen Kerl auf mich aufmerksam zu machen? Nur, weil du irgendwie angezogen in eine Bar gehst oder dich benimmst, wie du bist, hat noch lange niemand das Recht, sich zu nehmen, was er will." (Mirabelle, Seite 148) 

Hier ist das Potenzial sehr groß, etwas aus der Idee der Thematiken sinnvoll rauszuholen und uns besseren Umgang mit ihnen zu lehren. Das hat die Autorin in meinen Augen - trotz Logikfehlern - geschafft. Sie hat sich zudem sehr auf Thea und ihr Leiden konzentriert, was ab und zu bei mir künstlich rüberkam à la das eine Mädchen, dass etwas verändert ect. 

Sie mochte das Klopfen ihres Herzens in der Brust, das Gefühl zu leben. Hat sich das immer schon so angefühlt? Das normale Leben?
(Thea, Seite 20) 

Was das Freigabealter ab 14 Jahren angeht, sollte von den jeweiligen Eltern ihrer Kinder entscheiden; ich war mit 14 Jahren schon sehr erwachsen und reif für solche Gesellschaftsthemen, die tabuisiert sind. Ich kenne aber viele, die das nicht sind ... da ist das Buch und seine Thematik der falsche Lesestoff! Hier sehe ich die Eltern in ihrer Pflicht, zum Wohl der Kinder zu entscheiden. Denn das Buch ist nichts für naive und unausgereifte Teenager, die in einer Seifenblase leben. Als Aufklärung und Wachmacher auf jeden Fall hilfreich (auch für die Jungen), aber die Thematik kann eben auch verstören. 

War sie verrückt? Vielleicht. Aber verrückt zu sein ist immer noch besser als betäubt.
(Thea, Seite 19) 

Ich wünsche mir, dass das Buch mehr aufklärt und die Folgen von Gewalt und Rache beschreibt, als das es das Gegenteil bewirkt; traumatisiert und als Anleitung zur Ausübung von Gewalt und Rache dient. Das Buch kann als Anstoß für einen anderen Umgang dieser Themen dienen und wirklich was bewirken mit seinem Lehrinhalt, der nachdenklich macht. Das Nachwort der Autorin ist bestärkend in einer neuen in Gangsetzung zu Gegen Gewalt an Frauen (#Black Coats).

"Wenn dir eine Menschenhand ein Trauma zufügt, dann bist du für immer gezeichnet. Zwischen der Tat, Rache und Genesung liegt eine lange, schwarze Straße, und leider wirst du sie allein gehen müssen. Im Winter meines Lebens bin ich zu dem Schluss gekommen, dass sich Narben nicht durch neue Narben entfernen lassen." (Robin zu Thea, Seite 140/141)