Rezension

Mitreißende Spannung verpackt in einer Sprachwundertüte

1888 - Thomas Beckstedt

1888
von Thomas Beckstedt

Georg lebt kriegstraumatisiert in den 1920er-Jahren in London, als er ein ominöses Päckchen von einem alten Freund Richard erhält, der ihn bittet, ein Buch aus seinen umfangreichen Notizen, Tagebüchern und Aufzeichnungen heraus zu schreiben. Neugierig und zunehmend besessen begibt Georg sich nicht nur auf eine Reise nach Wien, sondern auch in die Vergangenheit, genauer ins Jahr 1888, als Richard des Doppelmordes angeklagt war.

Manche Bücher vermögen es, einen mit ihren ersten Sätzen oder Seiten in den Bann zu schlagen. Und genauso ist es mit diesem hier. Der gruselige Anfang erinnert an englische Klassiker wie „Dr. Jeckyll und Mr. Hyde“, hinter dem sich aber dieser Roman nicht zu verstecken braucht. Sehr gekonnt spielt der Autor mit dem Leser, verlangt ihm aber auch einiges ab, was zum einen auf die Zeitsprünge (zwischen 1888 und 1923) zurückzuführen ist, zum anderen auf den Perspektivwechsel zwischen der dritten Person und der erzählenden ersten Person.

Besonders die Sprache und der Drucksatz ebendieser ermöglichen einen wunderbaren Lesegenuss, den man auch mit allen Sinnen erlebt: man hört den Lärm der Pubgäste, man riecht ihren Gestank nach Tabak und Schweiß, schmeckt den schalen Alkohol, sieht Ann in ihrem zu engen Kleid förmlich vor sich und fühlt die klebrige Theke unter den Fingern.

Ganz raffiniert sind die kursivgeklammerten Einschübe, die Gedanken des Erzählers verdeutlichen und öfter Anlass zum Schmunzeln geben. Die Charaktere gewinnen dadurch an Substanz, auch dass sie durch Dritte in Gesprächen beschrieben werden, machen sie plastischer und greifbarer. Der Leser fühlt sich selbst als Fragender, als Detektiv, der die Puzzlesteine zusammensuchen muss.  

Ich finde es schade, dass Georg sein Manuskript verbrannt hat. Es hätte so ein gutes Buch draus werden können…

Zum Schluss sei noch etwas Profanes hervorgehoben: das Format des Buches ist handlicher als das anderer gebundener Bücher.