Rezension

Mittelding zwischen Roman und Dokumentation, teils packend, teils hölzern

Rote Kreuze
von Sasha Filipenko

Ein junger Mann zieht in eine neue Wohnung in einer anderen Stadt (Minsk/ Weißrussland) und trifft dort auf seine 92-jährige Nachbarin Tatjana, die an Alzheimer erkrankt ist. Obwohl er sich sehr abweisend und unhöflich verhält, lässt sie nicht locker, ihm ihre Geschichte zu erzählen, einer Frau, die in der Stalin-Ära alles verloren hat, vor allem ihre Familie.

Das wird teilweise so distanziert und trocken geschildert, dass ich mich streckenweise gelangweilt habe. Erst der Bericht über Verhöre und das Leben im Lager (Gulag) hat mich beeindruckt und emotional berührt.

Seitenweise schiebt der Autor Originaldokumente des Schweizer Roten Kreuzes ein, in dem es um russische Kriegsgefangene geht, und einen Amnestie-Erlass in aller Ausführlichkeit. Das und etliche Gedichte und Songtexte erwecken fast den Verdacht des Lückenfüllens und werden sicher von so manchem Leser einfach überschlagen. Auszüge der Dokumente hätten genügt und eventuell ein Anhang mit den kompletten Texten.

Leider fand ich auch die Verhaltensweisen der Personen oft unglaubwürdig und unnatürlich, die Dialoge hölzern. Dies ist eher eine Art Dokumentation als ein Roman und hat es mir als Leserin schwer gemacht, die Tragik und das Unrecht der Stalin-Zeit nachzuvollziehen. Dabei ist es so wichtig – und da stimme ich mit dem Autor überein – dass diese Verbrechen an der Menschlichkeit aufgedeckt und nicht vergessen werden.

'… wenn von diesem Horror nicht die ganze Welt erfährt, dann wird sich innerhalb von ein paar Jahrzehnten ein Mensch herausbilden, der freiwillig aus der Schaufel frisst - … weil dieser Mensch nicht mehr im Lager gefangen sein wird, sondern in sich selbst.' (188)

Es ist ein Verdienst des jungen Autors, das Unrecht ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt zu haben. Ein mutiges Buch, das mich aber leider wegen der ungeschickten Konstruktion und der unnatürlichen Personenzeichnung nicht überzeugen konnte.