Rezension

Mitten aus der Gesellschaft - Arnon Grünberg schreibt die besten Bücher

Mit Haut und Haaren - Arnon Grünberg

Mit Haut und Haaren
von Arnon Grünberg

Bewertet mit 5 Sternen

Ein Buch voller Verlorener, das ist wohl die beste Bezeichnung für Arnon Grünbergs ‘Mit Haut und Haaren’. Verloren in der schnelllebigen Zeit des Internets, der Globalisierung – jeder kann jeden immer erreichen, zumindest theoretisch.

Der Jetset, das war einmal, Jetset kann heutzutage jeder sein. Roland Oberstein ist Dozent an einer kleinen Uni in den USA. Eigentlich ist er Wirtschaftswissenschaftler, sein Hobby allerdings ist der Völkermord. Das Amalgam aus beidem ist sein Augenstern – die wirtschaflichen Ausswirkungen eines Völkermords. Seine Forschung geht ihm über alles.

So kommt es auch, dass er bereits geschieden ist. Ex-Frau Sylvie und der gemeinsame Sohn leben in Amsterdam, mit beiden hat er nur sporadisch Kontakt über Handy, SMS oder Chat. Der Sohn ist ihm bereits entfremdet, der spielt lieber an seinem Computer, als dort mit seinem fernen Vater zu reden. Die Ex-Frau trauert ihm immer noch nach und möchte ihn eigentlich gerne zurück, wenn auch vor allem als Unterstützung bei der Kindererziehung, mit der sie heillos überfordert ist.

Auch in Amsterdam lebt Rolands Freundin Violet, mit der er quasi ausschließlich über SMS Kontakt hält. Sie langweilt sich in ihrem Job, der Freund ist soweitweg, also muss ein anderer her – von dem sie Roland auch freiherzig berichtet. Doch geschockt ist dieser nicht. Im Gegenteil: er möchte alles möglichst detailgenau wissen.

Als Roland bei einer Konferenz über Völkermord in Deutschland weilt, lernt er Lea kennen. Sie  ist die Frau des Bürgermeisters von Brooklyn. Frustriert in ihrer Ehe daheim, sucht sie hier in der Fremde das Abenteuer, das Roland jedoch nicht bieten kann. Lea findet es bei einem anderen, bleibt aber dennoch mit ihm in Kontakt, anstatt mit der Bettbekanntschaft.
Als beide wieder in den USA sind, treffen sie sich häufiger und begeben sich doch noch in eine Art Liebesbeziehung.

Auch besagter Bürgermeister ist einer der Verlorenen. Die Familienidylle ist nur eine Fassade, die politischen Erfolg sichern soll. Hinter der Fassade allerdings tun sich Schluchten auf. Er hat sich zwischenzeitlich einen Geliebten zugelegt, wobei das Wort ‘Geliebter’ wohl sehr beschönigend ist. Es handelt sich vielmehr um einen Sexsklaven, den er mit dessen Illegalität seines Einwandererstatus erpresst und ihm die seligmachende Green-Card verspricht, wenn er ihm gefügig ist.

In diesem Buch ist jeder sich selbst der nächste und doch muss man es auch immer dem anderen Recht machen, um einem Konflikt zu entgehen. Die eigene Komfort-Zone geht über alles. Und wer kann besten Gewissens behaupten, dass es bei ihm nicht so ist. Immer mehr Verwicklungen und Querverbindungen zwischen den Personen ergeben sich, bei denen einem so manches Mal kurz der Lesefluss stockt. Fast alle schaukeln sich in ihrem Sich-und-Anderen-Gefallen-Müssen immer tiefer in die eigene Misere, der Ausweg wird immer unwahrscheinlicher. Man muss nur möglichst lange die gesellschaftliche Maskerade mitspielen, in der Hoffnung nicht aus dem Rahmen zu fallen.

Dass Arnon Grünberg ein unglaublich guter, wenn nicht gar brillanter ist Schriftsteller, muss man nicht abstreiten. Dafür sprechen seine Auszeichungen und die guten Kritiken, die er immer wieder bekommt. Das alles jedoch, ohne allgefällig zu schreiben. Seine Bücher sind auch äußerst provokativ.
Bei mir hat er sich inzwischen zu einem meiner absoluten Lieblinge hochgeschrieben. Denn wer außer ihm, legt die derzeitige Gesellschaft so gnadenlos bloß, wie er es tut und ist dennoch so überaus unterhaltsam.