Rezension

Mitten im Nord-Irland-Konflikt

Die verlorenen Schwestern - Adrian McKinty

Die verlorenen Schwestern
von Adrian McKinty

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ein Disziplinarverfahren beendete Sean Duffys Karriere bei der nordirischen Polizei und er will sich eigentlich in Spanien niederlassen, als ihm 1984 der Geheimdienst MI5 einen speziellen Auftrag anbietet. Duffy soll für kurze Zeit in den Polizeidienst zurückkehren, um Kontakt zum IRA-Sprengstoffexperten Dermot McCann herzustellen, den er seit seiner Kindheit kennt. Im Gegenzug wird Duffy eine gesäuberte Personalakte versprochen, ein perfider Vorschlag; denn bei seiner Entfernung aus dem Dienst ging es alles andere als korrekt zu. Soll er sich etwa geschmeichelt fühlen, dass der Special Branch ihn zum Unterhändler mit Dermot ernennt? Eine offizielle Entschuldigung von Margaret Thatcher sollte doch mindestens dabei herausspringen, orakelt Duffy. McCann ist nach einem Ausbruch aus dem Gefängnis The Maze auf der Flucht. Duffy wäre als junger Mann beinahe mit Dermot zusammen IRA-Mitglied geworden. So nahe liegen die Abzweige vom Lebensweg zum Terrorismus oder zur Polizei beieinander. Duffy muss sich den Kontakt zu Dermot erst von seiner Informantin mit einem Deal erkaufen und zunächst für sie einen tragischen Todesfall klären. Die Ermittlungen wurden damals eingestellt, obwohl der Gerichtsmediziner deutlich auf eine nicht natürliche Todesursache hinwies. Als klassischer Locked-Room-Fall ist der Tod einer jungen Frau durch die Untersuchung des Tatorts und sorgfältige Zeugenbefragung aufzuklären - geradezu eine Idylle im Vergleich zu McKintys früherem Leben im Fadenkreuz der IRA.

Adrian McKintys einzelgängerischer Held, der im Nordirland-Konflikt als Polizist im Dienst der verhassten Briten im falschen Wohnviertel lebt, gewinnt durch seine Stimmung am Rande der Depression und sein unerwartetes Interesse für Musik und Literatur die Sympathien der Leser. Duffy berührt durch seine Melancholie und seinen sarkastischen Blick auf die schönen Seiten seiner Heimat mitten im Bürgerkrieg. McKinty stammt selbst aus Carrickfergus wie sein Held. In den ersten beiden Bänden faszinierten mich die authentische Schilderung von Duffys Lebensumständen und der historische Hintergrund der Thatcher-Ära. Im dritten Band der Reihe geht es mit Nordirland und mit Duffys psychischer Verfassung deutlich bergab. Als Duffy dienstlich seine Ex-Freundin Laura in Schottland aufsucht, sieht er in ihrem Alltag all das, was er selbst vermisst: ein Leben in Sicherheit vor Terroranschlägen, beruflichen Erfolg und eine Liebesbeziehung.

Wer die Bereitschaft mitbringt, sich über den historischen Hintergrund des Buches zu informieren, den IRA-Anschlag auf den Parteitag der Konservativen in Brighton, wird von McKinty atmosphärisch gekonnt und auf sprachlich solidem Niveau unterhalten.