Rezension

Moderner Liebesroman & wichtiges Plädoyer für eine tolerantere Welt, aber leider nicht so gut wie erwartet!

Royal Blue - Casey McQuiston

Royal Blue
von Casey McQuiston

~ Mit „Royal Blue“ hat Casey McQuiston eine moderne Liebesgeschichte mit einer starken ersten Hälfte und vielen Stärken (Humor, Diversität, süße Momente, Kampf gegen Geschlechterstereotypen, starke weibliche Figuren) geschrieben, die jedoch auch ihre Schwächen hat (holpriger, unruhiger Schreibstil, fehlende Spannung, mir kamen die Gefühle zu kurz). Insgesamt blieb die Geschichte leider hinter meinen hohen Erwartungen zurück. Den Hype kann ich daher nur bedingt nachvollziehen. Dieser Roman ist ein Plädoyer für eine tolerantere Welt – dass er ein Bestseller geworden ist und die breite Masse erreicht hat, stimmt hoffnungsvoll. Ich kann dieses Mal zwar keine uneingeschränkte Leseempfehlung aussprechen, aber: Wenn ihr auf der Suche nach einer humorvollen, modernen und locker-leichten LGBT-Liebesgeschichte seid und für einige Stunden der Realität entfliehen wollt – gebt „Royal Blue“ doch eine Chance! ~

Inhalt

Nach einem Streit sollen sich der Sohn der amerikanischen Präsidentin und der britische Kronprinz medienwirksam versöhnen. Doch was, wenn zwischen den beiden mehr ist als Freundschaft? Was, wenn da etwas ist, das nicht sein darf?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präsens
Perspektive: männliche Perspektive
Kapitellänge: lang
Tiere im Buch:  + Es wird Fleisch gegessen und die Jagd wird (ohne Details) kurz angesprochen, es werden aber keine Tiere im Buch verletzt, gequält oder getötet. Eine Katze lebt in Einzelhaltung, deshalb hier ein wichtiger Hinweis: Katzen sind alleine niemals glücklich (sie sind EinzelJÄGER, keine EinzelGÄNGER), sondern sehr einsam und unglücklich. Sie können verschiedene Verhaltensstörungen entwickeln und depressiv und/oder aggressiv werden. Wer seine Katze liebt, schenkt ihr deshalb mindestens einen Gefährten.
Triggerwarnung: Depression, Alkohol, Drogen, Sexismus, sexualisierte Gewalt, Panikattacken / Angststörung;  

Warum dieses Buch?

Nach einigen düsteren und deprimierenden Büchern brauchte ich wieder einmal was Leichtes und Humorvolles. Ich mag zudem Geschichten aus dem LGBT-Bereich. Außerdem hat das Buch viel Lob erhalten und wurde von einigen Magazinen im englischsprachigen Bereich zum Buch des Jahres gewählt. Das alles hat mich natürlich sehr neugierig gemacht!

Meine Meinung

Einstieg (3 Lilien)

Ich habe leider nicht sofort in die Geschichte gefunden, was mit Sicherheit am gewöhnungsbedürftigen Schreibstil lag. Nach einigen Kapiteln war ich aber im Roman angekommen. Übrigens liebe ich die Widmung der Autorin: „Für die Spinner und Träumer“.

Schreibstil (3 Lilien)

Streckenweise kann die Autorin mit ihrem einfachen Schreibstil durchaus punkten und  Emotionen und Spannung erzeugen. Insgesamt konnte mich ihre Sprache jedoch leider nicht überzeugen. Einige Aspekte haben mich gestört: Zum einen ist die Erzählsituation etwas unglücklich gewählt. Es wurde sich für einen figuralen Erzähler (Alex, er) entschieden, doch aufgrund der Nähe zur Figur und der Zeit (Präsens) wollte mein Kopf immer wieder in die Ich-Perspektive wechseln, wodurch es zu einer gewissen inneren Spannung bei mir kam. Irgendwann gewöhnte ich mich aber daran.

Nicht gewöhnen konnte ich mich hingegen an die teilweise chaotischen, holprigen und oft sehr unruhig wirkenden Sätze der Autorin. Teilweise gibt es sehr lange Bandwurmsätze, die grundlos aneinandergereiht werden. Hier hätte ich mir gewünscht, dass die Autorin öfter einmal einen Punkt gesetzt hätte. Das hätte einzelnen Sätzen und Worten auch mehr Gewicht verliehen. Auch gestört hat mich zudem, dass ihre Beschreibungen mir oft nicht anschaulich genug waren – besonders bei den Liebesszenen. Manche Schilderungen blieben so kryptisch, dass ich trotz mehrmaligem Lesen nicht verstand, was eigentlich gerade passierte.

Idee, Inhalt, Themen & Ende (3,5 Lilien)

„‘Er ist ein netter Anblick, oder?‘
Alex verzieht das Gesicht. ‚Ja, ich meine, wenn man auf Märchenprinzen steht.‘
‚Tut das nicht jeder?‘“ E-Book, Position 846

Bei jedem Hype-Buch gibt es auch immer ein paar Leute, die das Buch kritisieren und die Begeisterung nicht teilen können. Dieses Mal gehöre ich leider dazu, da ich den Hype nur bedingt nachvollziehen kann.

Mit „Royal Blue“ hat Casey McQuiston eine moderne Liebesgeschichte geschaffen, die sehr stark beginnt, in der ersten Hälfte wirklich gut unterhält und sich perfekt eignet, um darin einzutauchen und der Realität zu entfliehen. Auch wenn bei mir nicht jeder Witz gezündet hat, gab es doch einige lustige Stellen, die mich zum Schmunzeln gebracht haben. Leider ist die zweite Hälfte schwächer, in der Beziehung zwischen Alex und Henry tut sich nicht viel, die Geschichte plätschert relativ spannungsarm vor sich hin – und hat sich ab einem gewissen Punkt für mich leider wirklich sehr gezogen. Die Kritik an der klischeehaften Darstellung der Briten kann ich übrigens auch bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen.

Thematisch stehen Selbstfindung, Outing, das Leben im goldenen Käfig, der Zwiespalt zwischen den Wünschen des Individuums und seinen Verpflichtungen der Familie und Gesellschaft gegenüber, Ziele, Zweifel, Familie und Liebe im Vordergrund. Auch die Politik nimmt einen unerwartet großen Teil der Geschichte ein, was mich aber nicht weiter gestört hat. Während manche Themen tiefgründig besprochen wurden, hätte ich mir bei einigen Aspekten noch mehr Tiefe gewünscht. Das Ende war meiner Meinung nach vorhersehbar und relativ typisch für einen Liebesroman – ich fand es in Ordnung, es wird mir aber nicht lange in Erinnerung bleiben. Übrigens soll die Geschichte auch verfilmt werden – diese Verfilmung werde ich mir nicht entgehen lassen!

Liebesgeschichte (3,5 Lilien)

„Manchmal springt man einfach und hofft, dass es keine Klippe ist.“ E-Book, Position 3527

Nach den vielen positiven Rezensionen habe ich mir ein Buch mit einer einmaligen, emotionalen, unvergesslichen Liebesgeschichte erhofft, die mich nachhaltig berührt. Leider wurden diese hohen Erwartungen nicht erfüllt, da mir die Gefühle oft zu kurz kamen. Sehr gut gefallen hat mir hingegen der sich langsam und glaubwürdig anbahnende Beginn der Liebesgeschichte – diese Zeit, in der beide noch mit ihren Gefühlen kämpften. Zudem gab es auch einige sehr süße Szenen, die mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert und ein Kribbeln im Bauch ausgelöst haben.

Leider gab es auch einige Aspekte, die mich gestört haben. Zum einen waren mir manche Momente echt „too much“ (zu viel), sie waren so kitschig oder dramatisch, dass ich nur die Augen verdrehen konnte. Zum anderen pflegen Henry und Alex teilweise einen eher rauen Umgang miteinander und beschimpfen sich auch im Bett immer wieder. Das ist wohl Geschmackssache, aber ich fand es unangenehm. Das fühle ich leider nicht, bei so etwas kommt bei mir leider keine Romantik auf. Außerdem lag mir der Fokus zu stark auf der körperlichen Anziehung zwischen den beiden, sodass mir die Gefühle der beiden füreinander zu kurz kamen. Es gibt sehr viele (gleichförmige) Liebesszenen, doch tiefsinnige Gespräche und gemeinsame Unternehmungen sind leider sehr sparsam gesät, was ich schade finde.

Auch den Sexszenen stehe ich etwas zwiegespalten gegenüber. Die Autorin beschreibt hier immer nur den Anfang und blendet dann aus. Das finde ich an sich nicht schlecht. Hier habe ich mich allerdings gefragt, woran das liegt, da das doch für einen Liebesroman mit so vielen Sexszenen ungewöhnlich ist. Denkt die Autorin, dass die Welt (die Masse) noch nicht bereit ist für queere Liebesszenen? Mich hat das jedenfalls nachdenklich gemacht. Sehr gestört hat mich hier, dass ich mir eben vieles nicht vorstellen konnte, weil es so kryptisch umschrieben wurde. Das sollte natürlich nicht passieren, hier hat es die Autorin wohl zu gut gemeint.

Protagonist & Figuren (3 Lilien & 3,5 Lilien)

Am Beginn tat ich mich mit Alex, dem Protagonisten, wirklich schwer. Er ist selbstverliebt und arrogant, wodurch es mir teilweise schwer fiel, mit ihm mitzufühlen. Mit der Zeit wurde das allerdings besser, da er auch andere – verletzliche und unsichere – Seiten von sich offenbart. Trotzdem schien er mir als Figur nicht so richtig rund – irgendwie wollte seine überhebliche, egoistische Seite nicht mit der philanthropischen, bodenständigen zusammenpassen. Ich hatte leider auch immer das Gefühl,  dass eine Distanz zur Hauptfigur blieb, die sich nicht überwinden ließ. Trotzdem mochte ich zum Beispiel seinen Humor und seine Liebe für seine Familie und Freunde und habe ihn ganz gern begleitet.

Was die Nebenfiguren betrifft, bleiben einige etwas blass, andere, wie zum Beispiel Henry und Nora, fand ich hingegen interessant und gut gelungen. Richtig ins Gedächtnis hat sich bei mir aber leider niemand so richtig gebrannt, was schade ist – dafür waren die Figuren einfach zu austauschbar.

Spannung (3 Lilien) & Atmosphäre (3 Lilien)

Auch was die Spannung betrifft, folgt einer starken ersten eine langatmige, zähe zweite Hälfte. Meiner Meinung nach hätte man im Mittelteil wirklich einiges wegkürzen und der Geschichte dadurch mehr Tempo verleihen können. Eine Straffung hätte dem Buch bestimmt gutgetan. Auch einige Wendungen hält die Geschichte bereit, die allerdings teilweise recht vorhersehbar waren. Bei einem Liebesroman finde ich das jedoch nicht so schlimm.

Die Atmosphäre hätte meiner Meinung nach stellenweise noch etwas dichter sein dürfen. Ich hätte mir hier anschaulichere und schlicht mehr Beschreibungen der Umgebung gewünscht, um mir alles besser vorstellen zu können.

Feministischer Blickwinkel (5 Lilien ♥)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Bitch, Hoe, Flittchen

Was die feministische Analyse betrifft, erhält dieses Buch alle Lilien und ein riesengroßes Lob! Das Buch besteht den Bechdel-Test, enthält unzählige starke, mutige, intelligente und kompetente weibliche Figuren und bricht radikal mit Geschlechterstereotypen und Rollenklischees. In dieser Parallelwelt gibt es sogar die erste weibliche Präsidentin – hier lässt das Buch keine feministischen Wünsche offen! Auch die Diversität im Buch und die verschiedenen sexuellen Orientierungen, über die ganz unaufgeregt gesprochen wird, sind positiv hervorzuheben. Dieser Roman ist ein Plädoyer für eine tolerantere Welt – dass er ein Bestseller geworden ist und die breite Masse erreicht hat, stimmt hoffnungsvoll! Nur selten kann ich Folgendes bei diesem Unterpunkt schreiben: Alles richtig gemacht, bitte weiter so, Casey McQuiston!

Mein Fazit

Mit „Royal Blue“ hat Casey McQuiston eine moderne Liebesgeschichte mit einer starken ersten Hälfte und vielen Stärken (Humor, Diversität, süße Momente, Kampf gegen Geschlechterstereotypen, starke weibliche Figuren) geschrieben, die jedoch auch ihre Schwächen hat (holpriger, unruhiger Schreibstil, fehlende Spannung, mir kamen die Gefühle zu kurz). Insgesamt blieb die Geschichte leider hinter meinen hohen Erwartungen zurück. Den Hype kann ich daher nur bedingt nachvollziehen. Dieser Roman ist ein Plädoyer für eine tolerantere Welt – dass er ein Bestseller geworden ist und die breite Masse erreicht hat, stimmt hoffnungsvoll. Ich kann dieses Mal zwar keine uneingeschränkte Leseempfehlung aussprechen, aber: Wenn ihr auf der Suche nach einer humorvollen, modernen und locker-leichten LGBT-Liebesgeschichte seid und für einige Stunden der Realität entfliehen wollt – gebt „Royal Blue“ doch eine Chance!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3,5 Lilien
Umsetzung: 3,5 Lilien
Worldbuilding: 3 Lilien
Einstieg: 3 Lilien
Ende / Auflösung: 3,5 Lilien
Schreibstil: 3 Lilien
Protagonist: 3 Lilien
Figuren: 3,5 Lilien
Spannung: 3 Lilien
Atmosphäre: 3 Lilien
Emotionale Involviertheit: 3,5 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥

Insgesamt:

❀❀❀,5  Lilien

Dieses Buch bekommt von mir dreieinhalb Lilien!