Rezension

Möwenherz – ein Herz aus Gold und Ambra, das Zeichen einer großen Liebe

Möwenherz - Karen Bojsen

Möwenherz
von Karen Bojsen

Möwenherz – ein Herz aus Gold und Ambra, das Zeichen einer großen Liebe

Jona Bennett avancierte durch seinen Fleiß, sein außergewöhnliches Talent und sein einzigartiges Gehör vom Wunderkind aus problematischen Familienverhältnissen zum besten Geiger seiner Generation. Seine größte Leidenschaft gilt seiner Stradivari namens „Francesca“, die er niemals aus den Augen lässt. Der schlaksige Mann mit den schönen schlanken Händen ist permanentem Druck ausgesetzt, er ist stets gefordert, Höchstleistungen zu bringen. Unterwegs zu einem Konzert in New York erleidet er eine Panikattacke und steht am Rande eines Zusammenbruchs.

Ebba Koenig ist nicht nur Jonas persönliche Assistentin, sondern zugleich auch seine Freundin und Vertraute. Sie reist mit Jona von Konzert zu Konzert, koordiniert die Termine und managt das gesamte Leben des sensiblen Künstlers. Die Nachricht vom Tod ihrer geliebten Großmutter Gesa bringt Ebbas straff organisierte Welt zum Einsturz. Sie bricht unverzüglich auf nach Emilienkoog, einem Dorf an der nordfriesischen Küste, wo sie einst viele wunderschöne Tage und Wochen bei ihren Großeltern verbringen durfte. Ebba war acht, als sie den zwei Jahre älteren Finn in Emilienkoog kennenlernte, ihr bester Freund aus Kindheitstagen und ihre spätere große Liebe. Ein Unglück in ihrer Kindheit überschattete jedoch das gesamte weitere Leben der beiden.

Finn Grothe ist ein erfolgreicher Kardiologe und arbeitet im Herzzentrum von Arthur Feldhusen in München. Unterwegs in den Urlaub verspürt der gebürtige Nordfriese nach der Nachricht über den Tod eines gestrandeten Wals in Emilienkoog plötzlich den unerklärlich starken Drang, seinen Heimatort aufzusuchen und sich den Geistern der Vergangenheit zu stellen.

Karen Bojsen wählt als Rahmenhandlung die Geschichte des Walfangs und ermöglicht ihren Lesern Einblicke in das harte Leben jener Männer, die zur See fuhren und sich großen Gefahren aussetzten. Sie berichtet von Walen, die aus ungeklärten Gründen während ihrer Wanderung vom Kurs abkommen und im Wattenmeer stranden, wo sie letztendlich verenden. Sie erwähnt die Gräuel des industriellen Walfangs – ein sinnloses Schlachten und daraus resultierend tausende tote Tiere. Die Autorin regt zum Nachdenken an und ruft zu einem achtsamen Umgang mit den endlichen Ressourcen der Ozeane auf.

Karen Bojsens wunderschöner Schreibstil und ihre bildhafte Sprache tragen dazu bei, die beeindruckende Landschaft Nordfrieslands und den beinahe dreihundert Jahre alten, von blühenden Staudengärten umgebenen Hof von Ebbas Großeltern während der Lektüre vor den Augen des Lesers erscheinen zu lassen. Sie beschreibt die Schönheit des Wattenmeers, den Gesang der Vögel und die raue Herzlichkeit der Bewohner an der nordfriesischen Küste.

Die handelnden Figuren dieses Buches sind ebenfalls sehr gut ausgearbeitet und ihre Gedanken und Emotionen authentisch wiedergegeben. Das Hauptaugenmerk liegt auf den drei Protagonisten Ebba Koenig, Jona Bennett und Finn Grothe. Durch Rückblicke in die Vergangenheit erfährt man nach und nach immer mehr über die Jugendjahre von Ebba und Finn. Die Autorin liefert auch nähere Details zu Jonas Umfeld und Werdegang. Was mir an diesem Roman ganz besonders gut gefallen hat war die Charakterisierung der herzlichen Bewohner der nordfriesischen Küstenlandschaft. Sie werden trotz kleiner Macken allesamt überaus liebenswert dargestellt. Jörgen Pausen, der Kapitän der Frisia mit dem verwitterten Cowboygesicht, der starker Raucher ist, seinen Kaffeekonsum jedoch zugunsten des Grüntees aufgab, wuchs mir ebenso ans Herz wie der wortkarge und ernste Friedrich Grothe, der im Alter von sechsundsiebzig Jahren immer noch seine Landhauspraxis in Husum führt. Meine ganz persönliche Favoritin war Finns Tante Anneke, die dem Jungen nach dem frühen Tod der Mutter ihre ganze Liebe schenkte und ihn aufzog, während sein Vater in seinem Kummer zu versinken drohte. Annekes unaufgeregte und praktische Art und ihre Sensibilität für die wesentlichen Dinge im Leben machten sie zu meiner liebsten Nebenfigur in dieser Handlung. Natürlich wurden in vielen Rückblenden auch auf das Leben von Ebbas Großeltern Gesa und Henri Koenig näher eingegangen, die mir ebenfalls beide auf Anhieb sehr sympathisch waren.

Ich habe nach der Lektüre dieses wunderschönen Sommerromans das Haus und die malerische Landschaft Nordfrieslands regelrecht vor meinem inneren Auge und genoss diese ruhige und gefühlvolle Geschichte in vollen Zügen. Karen Bojsen brachte eine große Themenvielfalt in dieses Buch ein und befasste sich zudem auch mit den Schatten der Vergangenheit, mit denen ihre handelnden Figuren zu kämpfen hatten. Sie thematisierte unausgesprochene Vorwürfe, Schuldgefühle und Kindheitstraumata. Mit diesem Roman erzählt sie eine berührende Geschichte mit inhaltlicher Tiefe, die mir sofort Lust darauf machte, mehr von dieser Autorin zu lesen.  „Möwenherz“ war eine bereichernde Leseerfahrung, die ich sehr gerne weiterempfehle!