Rezension

Monolog einer alten Dame

Rote Kreuze
von Sasha Filipenko

Bewertet mit 3 Sternen

In Alexanders neuer Wohnung gibt es noch nicht einmal Möbel, da wird er schon von seiner 90jährigen Nachbarin zugequatscht. Tatjana leidet an Demenz und will noch schnell ihre Lebensgeschichte erzählen; bevor sie die vergisst. Sascha ist zunächst genervt, doch bald hat er die alte Dame ins Herz geschlossen.

Filipenkos Roman liest sich wie ein kurzer Abriss der jüngeren russischen Geschichte. Trotz der geschilderten Gräuel und Ungerechtigkeiten liest sich der Roman ganz angenehm, vielleicht auch, weil Tatjana alles mit dem Abstand der Jahrzehnte berichtet. Sie hat viel erlebt, und noch viel mehr erleiden müssen. Ihr Schicksal zeigt die ganze Idiotie des Systems und steht beispielhaft für viele. Trotzdem werden viele Aspekte bloß angerissen, da hätte ich mir mehr Tiefe gewünscht. Alexander dagegen ist ein sehr blasser Zuhörer, sein „Schicksal“ wirkt extrem unrealistisch und effektheischend. Ich hätte mir den Roman sehr viel besser als z.B. Tagebuch von Tatjana vorstellen können, Sascha gnadenlos rausgekürzt. Die Rahmenhandlung empfand ich als unnötig. Der Erzählstil gefiel mir nicht immer, einerseits lässt sich das Buch gut lesen, andererseits fehlten mir Emotionen, gerade die Willkür des Systems hätten Wut, Ohnmacht… irgendetwas auslösen sollen. Die eingestreuten Dokumente wirken (sind?) sehr authentisch, z.T. aber in epischer Breite vorhanden. Briefwechsel werden zu sehr ausgewalzt und bremsen die Geschichte aus, auch wenn sie natürlich zeigen sollen wie zermürbend Tatjanas Arbeit oft war. Das ändert nichts daran, dass so die Handlung zusätzlich an Schwung verliert.

Ich fand den Roman nicht ganz schlecht, hätte mir aber die Aufarbeitung dieses sensiblen Themas doch anders vorstellen können.