Rezension

Mosaik

HERKUNFT - Sasa Stanisic

HERKUNFT
von Sasa Stanisic

Dieses Buch bietet eine Fülle von Mosaiksteinchen: Erinnerungen an die Kindheit in Jugoslawien, an die Jugend als Flüchtling in Deutschland, an Studium und Sorge um Aufenthaltsgenehmigung, an eine Reise zum Heimatdorf der Großeltern; Episoden aus der Gegenwart wie Begegnungen mit der dementen Großmutter und Szenen mit dem dreijährigen Sohn; ein Briefentwurf an die Ausländerbehörde, Drachen und vieles mehr. Zusammengesetzt ergeben sie ein Leben: Wenn auch literarisch bearbeitet, so sind es wohl die Eindrücke des Autors selbst, Sasa Stanisic, der als Vierzehnjähriger mit seinen Eltern vor dem Krieg in Jugoslawien nach Deutschland floh, hier studierte und als Schriftsteller Erfolg hat. Das Puzzle habe ich gern zusammengesetzt und die Erzählung hat mich auch in ihren Sprüngen mitgenommen. Auffällig: Es gibt so viele ganz persönliche Erinnerungen, und gleichzeitig ist da so viel allgemein Menschliches: Auch wenn wohl nur wenige der Leser einmal in einem Flüchtlingsheim gelebt haben, können doch Erfahrungen wie Zusammenhalt in einer Jugendclique und die Sorge um hilfebedürftige Angehörige von vielen Menschen geteilt werden. 

Dass das Buch auf der Nominierungsliste zum Deutschen Buchpreis stand, hat mich gefreut; ich finde es verdient. Nun hat es tatsächlich auch den Preis gewonnen. Warum wohl? Ist es diese Möglichkeit, im Besonderen das Allgemeine zu erkennen, das übergreifend Menschliche? Und damit auch die Gelegenheit, sich Randgruppen wie häufig abgelehnten Flüchtlingen anzunähern? Das wäre gesellschaftspolitisch gedacht, doch diesen Aspekt bezieht der Preis ja anscheinend ein. Ich hätte mir dafür dann doch auch die Schilderung negativerer Erfahrungen gewünscht: Vom Krieg in Jugoslawien erfährt der Leser nicht viel, und Sasa hat (im Gegensatz zu seinen Eltern) wenig Probleme, sich im neuen Land einzufinden. Echte Integration oder Inklusion gibt es in meinen Augen erst dann, wenn Unterschiede auch anerkannt und wertgeschätzt werden. Nun ja, das ist wohl Ansichtssache. Oder ist der Grund für den Preis literarisch? Auch hier ist mein Votum gemischt: Ja, Stanisic kann erzählen, und seine Sprache nimmt mich mit und lässt mich dem Protagonisten nahekommen. Innovativ ist das aber nicht; auch die Form der "Mosaiksteinchen" ist nicht neu. Formal ungewöhnlich ist der letzte Abschnitt: Stanisic schreibt im Stil eines Spielbuches, in dem der Leser nach einem Abschnitt mehrere Wahlmöglichkeiten hat und so den Fortlauf der Geschichte selbst bestimmt. Das ist zwar keine neue Erfindung, aber in einem literarischen Werk auf jeden Fall überraschend. Aber welchen Sinn hat diese Form? Will der Autor damit vermitteln, dass zwar die Herkunft vorgegeben ist, aber der weitere Fortgang des Lebens in der eigenen Hand liegt? Das berücksichtigt aber nicht, dass für manche Menschen die Wahlmöglichkeiten sehr gering sind; Herr über ihr Schicksal sind sie nur sehr begrenzt. Der Sinn dieses abschließenden Buchteils hat sich mir nicht erschlossen.

Fazit: Ich habe das Buch sehr gern gelesen und freue mich über seinen Erfolg. Den Buchpreis hätte ich ihm allerdings nicht zugesprochen. Wer ihn stattdessen hätte erhalten sollen, kann ich noch nicht sagen; zunächst einmal möchte ich die anderen Kandidaten der Liste zu Wort kommen lassen und mich dann entscheiden.