Rezension

Mrs Saint und ihre Mängelexemplare

Ein halbes Jahr zum Glück - Julie Lawson Timmer

Ein halbes Jahr zum Glück
von Julie Lawson Timmer

Bewertet mit 3 Sternen

Nachdem Markie jahrelang weggesehen und den Schein einer intakten Ehe aufrecht gehalten hat wird sie irgendwann unausweichlich konfrontiert mit der Untreue und den Geldproblemen ihres Ehemannes.

Sie zieht die Reißleine und verlässt fluchtartig mit ihrem Teenagersohn Haus und Heimatstadt; sie möchte nicht miterleben, wie das Umfeld reagiert, sie möchte neu starten und alles hinter sich lassen.

Der Neuanfang kommt in Form eines heruntergekommenen Bungalows, eines 0815-Jobs - und einer Nachbarschaft, die sie nicht erwartet hat.

Während sie ihr Leben erst einmal in Isolation bestreiten möchte rumpelt Angeline St. Denis, auch bekannt als Mr. Saint, unverhofft und mit viel TammTamm in ihren Alltag.

Mischt sich ein, bestimmt, hilft, fordert und bringt eine ganze Handvoll „Mängelexemplare“ mit in Markies Dasein, Menschen, denen sie unter die Arme greift und die für sie arbeiten.

Markie ist absolut nicht bereit und in der Lage, sich mit dieser neuen Situation und Mrs. Saint zu arrangieren und weigert sich, den Kontakt und die unerwünschte Nähe dieser Leute zuzulassen … oder wird sie sich ändern?

-

Ein schwieriges Buch. Muss ich ehrlich sagen.

Es tut sich so viel - und eigentlich nichts. Wir lernen Menschen kennen - und können sie doch gar nicht verstehen. Wir erfahren Vieles - und haben noch mehr Fragen.

Wie rezensiert man ein Buch, das einem so viele Fragezeichen beschert hat?

Ich habe gebraucht, um reinzurutschen in Markies Geschichte wobei mir der Schreibstil des Buches wirklich gut gefällt.

Ich habe lange gebraucht, um mit Markie, ihrem Charakter und ihrem Verhalten warm zu werden und hatte bis zum Schluss Probleme, sie als Person zu greifen.

Zu viel kann ich nicht nachvollziehen, wie sie schweigt statt zu reden, wie sie ablehnt anstatt zuzulassen - sie hat so viel Potenzial, wie man auch grade am Ende des Buches merkt, aber sie vergeudet es. Man möchte sie schütteln, wachrütteln … Mrs Saint versucht es ja quasi.

Ja, Mrs. Saint. So laut und poltrig wie sie in Markies Leben stürmt, so wirft sie einen als Leser um. Man wird konfrontiert mit einer Naturgewalt in Miniaturausgabe, einer kleinen alten Dame, die so unschuldig aussieht aber mit einem Fingerzeig ein Heer kommandieren würde.

Man hat direkt ein Bild im Kopf, wie sie da im Garten steht, weiss, wie sie aussieht und wie sie einen anguckt.

Verstanden habe ich sie bis zum Schluss nicht. Ich möchte nicht zu sehr in den Inhalt des Buches gehen, aber während sie bissig-liebevoll die Welt um sich herum rettet, die in Form von „Mängelexemplaren“ ihren Weg kreuzen, so distanziert und egoistisch tritt sie die Liebe ihrer eigenen Familie mit Füßen.

Diese Diskrepanz in ihrem Verhalten ist mir persönlich bis zum Schluss des Buches ein Rätsel geblieben.

Die meisten der „Mängelexemplare“ des Buches sind herrlich „andere“ Charaktere, Menschen, die nicht in ein Schema passen, Menschen, die anecken, ihre Probleme aber vor Allem ihre liebenswerten Seiten haben. Man versteht, warum Mrs. Saint sie „retten“ wollte - auch ohne von ihrer eigenen Geschichte erfahren zu haben.

Ihre Geschichte: das ist es auch. Plötzlich wird man nach Zwei Dritteln des Buches mit Mrs Saints Vergangenheit konfrontiert, die Geschichte schlägt Haken, die man so nicht erwartet hat. Spannend, absolut keine Frage - es entwickelt sich so anders, als man dachte.

Während ich im ersten Teil des Buches manchmal so meine Not hatte, am Ball zu bleiben habe ich ab der Hälfte in einem Rutsch gelesen, weil es mich doch gefesselt hat. Ich wollte wissen, wie es weitergeht und war so einige Male echt überrascht.

In der Tat aber nicht immer positiv überrascht, und das ganz besonders bezogen auf das Ende. Ich stehe mit Fragen da - nach dem Warum, dem Weshalb. Ich verstehe die Charaktere nicht, ihr Verhalten und ich weiss vor Allem nicht, was das Buch mir genau sagen wollte.

Das ist etwas unbefriedigend, insbesondere, da das Buch absolut das Potenzial hatte, diese Fragen auszuarbeiten und sie zu beantworten.