Rezension

München 1894 - als die Kriminalistik noch in den Kinderschuhen steckte

Der falsche Preuße - Uta Seeburg

Der falsche Preuße
von Uta Seeburg

Bewertet mit 4 Sternen

Wilhelm Freiherr von Gryszinski ist mit Frau und Kind frisch aus Berlin nach München zugezogen, um eine Stelle bei der Bayerischen Polizei anzutreten. Der Reserveoffizier der preußischen Armee und studierte Jurist interessiert sich besonders für die Sicherung von Spuren am Tatort, die im Kaiserreich ebenso wie Beweismittel- Archivierung noch in den Kinderschuhen steckten. Indem die Autorin einen Preußen 1894 nach Bayern versetzt, vermittelt sie ihren Lesern geschickt Münchens Atmosphäre zurzeit der Postkutschen und Pferdedroschken, als sich bedeutende technische Veränderungen bereits abzeichneten und als Thür und Thor noch mit th geschrieben wurden. Der „Preuße“ kann sein Talent für die Spurensicherung gleich am Fundort eines Toten in der Nähe des Maximilianeums einsetzen. Der Tote arbeitete als amtlicher Bierbeschauer. Die Recherche führt den adligen Preußen und sein Team ins Milieu der Brauereien und zu einem weiteren Preußen, der mit einer Brauerei-Erbin verheiratet ist. Villenbesitzer Lemke hat einen farbenfrohen Lebenslauf, der ihn bis nach Ostafrika führte, aber anders als der Ermittler keinen Adelstitel aufzuweisen. Mitten in die Ermittlungen in München grätscht der preußische Gesandte, dessen Regierung ein Interesse daran hat, Lemke des Hochverrats zu überführen. Er appelliert an von Gryszinski Offiziers-Ehre, droht ihm unverhohlen, so dass der Preuße in Bayern seine eigenen Ermittlungen zunächst hinter die Interessen Preußens zurückstellen muss. Schließlich kann ein Reserveoffizier kaum zwei Herren gleichzeitig dienen.

Von Gryszinski schwört auf die Ermittler-Weisheit, dass einige Dinge zu offensichtlich sind, um gesehen zu werden. Auf dieser Basis kann er in einem bühnenreifen Auftritt in Lemkes protziger Villa schließlich auch seinen eigenen Mordfall lösen. Als Fan von Ermittler-Krimis und der Beziehungsebene im Team war mir der Exkurs in die Lemke-Villa zu lang, zu laut und zu exzentrisch, während andere interessante Aspekte im Auftaktband der geplanten Serie nur eine Nebenrolle spielten.

Ein Preuße in München, dem noch niemand das Weißwurst-Essen beigebracht hat, eine lesende und diskussionsfreudige Ehefrau und ein junger Kriminalbeamter, der über einen unendlichen Schatz von Spezln verfügt, die ihm Informationen beschaffen können, wecken jedenfalls meine Neugier auf die Fortsetzung der Serie. Ein informatives Nachwort klärt, welche Figuren vor authentischem historischen Hintergrund im Roman fiktiv und welche real sind.