Rezension

Muster, Rollen, alte Bahnen

Eine moderne Familie - Helga Flatland

Eine moderne Familie
von Helga Flatland

Bewertet mit 5 Sternen

Es ist Sverres 70. Geburtstag. Die norwegische Familie findet sich anlässlich einer gemeinsamen Italienreise zum Jubelfest zusammen. Doch statt einer gemütlichen Familienfeier kommt alles ganz anders. Die Eltern verkünden den drei erwachsenen Kindern, dass sie sich trennen werden.

„Wir werden und scheiden lassen…es ist eine wohlüberlegte Entscheidung…..Wir sehen im anderen keine Zukunft mehr!“….“Auseinandergelebt? Zukunft“? Mal im Ernst, ihr seid siebzig!“

Wie die drei „Kinder“, Liv, Ellen und Hakon, mit dieser Botschaft umgehen, ist Hauptthema des Romans „Eine moderne Familie“ der norwegischen Autorin Helga Flatland. Die Konstruktion einer heilen Familie mit Vorbildwirkung gerät ins Wanken. Dabei geht es der Autorin nicht darum, was Auslöser oder Grund für die Entscheidung der Eltern ist. Es geht nicht um Betrug oder Ehebruch oder Schuldzuweisungen. Helga Flatland zeigt anhand der Reaktionen der drei Geschwister, wie unterschiedlich die eigene Wahrnehmung ist über sich selbst, aber auch über das Leben, die Beziehung anderer und zu anderen. Aus der jeweiligen Ich-Perspektive von Liv, Ellen und Hakon, erfahren wir, welche Bedeutung die Scheidung der Eltern jedem von ihnen zukommt.

Ganz deutlich treten die kindlichen Rollen wieder zu Tage: Liv, die Älteste und Verantwortungsvolle kann nur ganz schlecht mit Veränderungen umgehen. Die scheinbar stabile Ehe der Eltern war für sie von jeher Vorbild uns Stützpfeiler ihrer eigenen ins Wanken geratenen Ehe mit Olaf. Der schon in Kindheit und Jugend schwelende Konkurrenzkampf zwischen Liv und Ellen um Anerkennung und Zuneigung bricht erneut auf. Liv ist nun selbst überbehütende Mutter zweier Kinder, während Ellen an ihren vergeblichen Versuchen schwanger zu werden beinahe scheitert. Hakon hingegen, der Nachzügler, dem man als Jüngsten und kränklichem Kind viel Nachsicht entgegengebracht hat, wirkt er - von Ehe und Monogamie nicht angetan - von der gegenwärtigen Situation zunächst unbeeindruckt. Bis er sich selbst verliebt.
 

Die Konstruktion Familie steht in diesem Roman unter scharfer Beobachtung. Helga Flatland hat ein ungemein gutes Auge für die alltäglichen Geschichten, die das Leben schreibt. Sie bleibt dabei unaufgeregt, analysiert die Familienbeziehungen fernab von Dramatik oder süßlichem Kitsch. Es sind Beobachtungen mit großem Wiedererkennungswert über Muster, Rollen, alteingelaufene Bahnen und wie eine Veränderung das bisherige Leben in Frage stellen kann. Souverän erzählt!