Rezension

Mutige Mädchen, machtvolle Möglichkeiten, doch manchmal merkwürdige Moral

Good Night Stories for Rebel Girls
von Elena Favilli Francesca Cavallo

Bewertet mit 4 Sternen

Bestehe auf deinem Recht zu denken. Auch falsch zu denken ist besser, als gar nicht zu denken.

Das Zitat stammt von Hypatia von Alexandria, einer einst berühmten ägyptischen Mathematikerin und Philosophin des 4./ 5. Jahrhunderts. Sie ist eine der vielen beeindruckenden Frauen, die in diesem Buch vorgestellt werden. In einfacher, klarer Sprache werden per Kurzbiographie, die nicht selten mit den Worten "Es war einmal ein Mädchen ..." beginnt, ihre Geschichten Kindern nahegebracht. Von jeder vorgestellten Person gibt es ein individuell gestaltetes Portraitbild (hier haben viele Künstlerinnen mitgewirkt), sowie ein Zitat, Lebensdaten und Herkunftsland in einem sachlich-klaren Design. Dabei trifft man auf bekannte Gestalten wie Maria Montessori, Malala Yousafzai, Astrid Lindgren, Marie Curie oder Coco Chanel, staunt aber auch über ganz viele Namen, von denen man noch nie gehört hat, die aber unbedingt in diese außergewöhnliche Sammlung gehören, wie die einst beim Geheimdienst arbeitende Kochbuchautorin Julia Child, Nancy Wake, die Spionin, die während der Nazibesatzung mit dem Fallschirm über Frankreich absprang, um abgestürzten britischen Bomberpiloten bei der Flucht über die Pyrenäen zu helfen, oder Manal Al-Sharif, die in Saudi-Arabien das Autofahr-Verbot für Frauen brach. Dieses Buch ist voll von den unglaublichsten Biographien. Es sind auch sehr berührende Eindrücke darin, die man nicht wieder vergessen möchte, wie die Geschichte von Yusra Mardini, der syrischen Schwimmerin, die auf der Flucht übers Mittelmeer durch ihr beherztes Vorgehen sich selbst und alle ihre Mitreisenden rettete. Schön, dass auch eine koreanische Königin mit von der Partie ist. Oder eine chinesische Naturwissenschaftlerin des 18. Jahrhunderts. Oder eine indische Boxerin. Oder eine afghanische Rapperin. Oder eine italienische Astrophysikerin.

Aber muss man diese wunderbaren Frauen wirklich in gleicher Reihe mit einer Rockmusikerin nennen, deren Verdienst es ist, dass sie in den Siebzigern eine Punkband gründete, die hauptsächlich durch Lautstärke und Freizügigkeit punktete? Und muss man Katharina die Große wirklich deshalb hofieren, weil sie ihren Mann abgesetzt und sich selbst zur Kaiserin gekrönt hat? Vielleicht war es ja berechtigt; ich bin mit ihrer Biographie viel zu wenig vertraut. Aber so wie es im Text rüberkommt, ist es eben auch nur wieder das übliche Gerangel um die Macht. Auch wenn Frauen in diesem Metier seltener vorkommen, so macht es den Umstand nicht besser. Ich will ja nicht sagen, dass Katharina die Große nicht in diese Sammlung gehört, aber das hätte man anders vermitteln müssen. Auf jeden Fall taugt die Figur einer Königin, die ihren Mann absetzte, weil sie ihn "nicht leiden konnte", nicht zum Vorbild für Kinder, egal welchen Geschlechts. Und das gibt einen Punktabzug, so leid mir das tut, weil es nicht der einzige Ausrutscher dieser Art ist.

Die Geschichte von dem Transgendermädchen namens Coy ist für mich echt harter Tobak. Kann man es allen Ernstes gutheißen, an einem kleinen Jungen herumzuschnippeln, damit er ein Mädchen wird? Selbst wenn der das so will? Dies jedenfalls als ultimatives Vorbild für "Rebel Girls" hinzustellen, halte ich für geradezu gewissenlos. Obwohl das Bild von dem geschlechtsumgewandelten Kind sehr niedlich ist, entwertet diese Geschichte in meinen Augen leider das gesamte Buch. Eigentlich hatte ich es gekauft, um es zu verschenken, davon habe ich dann aber doch abgesehen.

Schade! Denn die Idee ist toll, die Ausführung vielfach wirklich gelungen. Die Idee zu diesem außergewöhnlichen Buch wurde über Crowd-Funding von Menschen aus aller Welt finanziert, und auch die internationale Vielfalt der beschriebenen Frauenbiographien ist einmalig. Nur die Zitate schwächeln hin und wieder ein bisschen ("Autorennen fahren ist besser als sich verlieben"...). Insgesamt dennoch ein wunderbares Buch. Zum Schluss daher noch ein paar von den guten Zitaten:

Ich kann euch sagen, was Freiheit für mich bedeutet: Ohne Angst leben.
(Nina Simone, afro-amerikanische Sängerin)

Um das Beste zu erreichen, werde ich immer so schwierig wie nötig sein.
(Maria Callas, griechische Opernsängerin)

Ich habe schon als Kind gelernt, dass man Ertrinkende retten muss, unabhängig von ihrer Religion oder Nationalität.
(Irena Sendler, polnische Widerstandskämpferin, rettete mehr als 2000 jüdische Kinder vor den Nazis)

Mein Arzt sagte, ich würde nie wieder laufen. Meine Mutter sagte das Gegenteil. Ich glaubte meiner Mutter.
(Wilma Rudolph, amerikanische Leichtathletin)