Rezension

Nach anfänglicher Skepsis eine Achterbahnfahrt der Gefühle - schön!

Tote Poeten und Pickelstift - Kooky Rooster

Tote Poeten und Pickelstift
von Kooky Rooster

Bewertet mit 4 Sternen

Klappentext

Während sich die Mitschüler ins pralle Leben stürzen, verkriecht sich Erik in seinem Zimmer und schreibt erotische Liebesgedichte. Dass er im vergangenen Jahr vom kleinen Fettsack zum schönen Schwan gereift ist, hat er noch nicht verinnerlicht. Den Blick gesenkt eilt er durch die Schulflure und hofft, unsichtbar zu sein – außer für Jonas, den coolen Typen mit dem Motorrad und der schwarzen Lederkluft. Seinetwegen tritt er der Theatergruppe bei und brilliert in der Rolle des Cyrano. Seinetwegen weiß er auch, wie es ist, sich nach jemandem zu verzehren, den er nicht kriegen kann. Denn Jonas ist Lehrer, mit Haut und Haar. Niemals würde er seine Karriere für eine Affäre mit einem Schüler aufs Spiel setzen. Allerdings hat Jonas eine Schwäche für Poeten und Erik ist ein Poet …

 

Meine Meinung

Wow. Was für ein Gefühlschaos. Was für eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Mittlerweile weiß ich schon ungefähr, was man sich von Kooky Roosters Geschichten erwarten kann – eine perfekte Balance aus prickelnden Szenen, großen Gefühlen und ernsten wie lockerleichten Tönen –, und doch war „Tote Poeten und Pickelstift“ überraschend. Nicht, weil ich nicht genau das bekommen habe, was ich mir mit Kaufen des Buches erwartet habe, sondern weil ich es bekommen habe, obwohl der Anfang mich daran hat zweifeln lassen.

Zu Beginn des Buches kam ich nämlich überhaupt nicht mit Eriks Art klar. Er bekommt in Jonas‘ Gegenwart nicht einmal den Mund auf – und Jonas verfällt ihm trotzdem? Das wirkte zu dem Zeitpunkt für mich nicht nachvollziehbar. Erik hatte außerdem eine weinerliche, unsichere Art an sich, die ich leider sehr anstrengend und bedrückend fand.

Zudem häuften sich am Anfang so viele Fremdschäm-Momente, dass ich mehrmals das Buch zur Seite legen musste, um wieder emotionale Distanz zu gewinnen und mich durch die peinlichen Szenen durcharbeiten zu können. Es wurde sogar so schlimm und unangenehm, dass ich zwischenzeitlich mit dem Gedanken gespielt habe, das Buch abzubrechen. Und da hatte ich das Buch noch nicht mal zu einem Drittel durch – so viele Fremdschäm-Momente gab es da schon. Aber die Handlung hatte etwas von einem Autounfall – schrecklich, aber fesselnd – und trotz enormer Anhäufung peinlicher Szenen hatte die Handlung doch irgendwie Sogcharakter, weil der Lehrer-Schüler-Aspekt interessant genug war, um wissen zu wollen, wie es weitergeht.

Ein weiterer Aspekt, der mich skeptisch gemacht hat, war die erste Annäherung, die mich mehr irritiert als begeistert hat, da ich Jonas‘ Handeln absolut nicht nachvollziehen konnte. Erst verklickert er Erik noch, dass zwischen ihnen nichts laufen kann, und im nächsten Moment geht die Annäherung sogar von ihm aus – ohne dass auch nur ansatzweise Zweifel bei ihm aufkommen oder er sein Gehirn einschaltet.

Aber sämtliche Kritikpunkte lösen sich mit der Zeit in nichts auf. Erik macht eine enorme Charakterentwicklung durch und reift zu einem erwachsenen jungen Mann, der für sich und seine Liebe einsteht, der in Jonas endlich den Menschen findet, der ihm wirklich zuhört und ihm das Gefühl gibt, dass seine Worte einen Wert haben, und der trotz zahlreicher Hindernisse (sei es Mobbing oder unfaire, ja fast schon boshafte Aktionen der Eltern) nicht seine Stärke verliert. Ich habe ihn als Protagonisten unglaublich liebgewonnen, was ich zu Beginn wirklich nicht gedacht hätte. Im Rückblick ist sein anfänglich zurückhaltendes, scheues Wesen absolut verständlich, wenn man erst einmal sein näheres Umfeld kennengelernt hat. Mit Eriks Charakterentwicklung gehen schließlich auch die Fremdschäm-Momente drastisch zurück – oder man nimmt sie wegen Eriks neugewonnenem Selbstbewusstsein nicht mehr als so unangenehm wahr.

Und zu guter Letzt: Jonas und sein Umgang mit der Gesamtsituation. Nach der ersten – für mich unverständlichen – Annäherung wird sein unbedachtes Handeln nach und nach verständlich gemacht und – zu meiner großen Überraschung – verhält er sich auf den kommenden Seiten vorbildlich. Selten habe ich den Lehrer-Schüler-Aspekt so geschickt aufgelöst und so drastisch, aufwühlend und zwiespältig reflektiert und diskutiert in einem Buch vorgefunden. Keine der betroffenen Personen geht mit der Situation leicht um, es wird sich mit möglichen Konsequenzen auseinandergesetzt und Gefühle werden unterdrückt und auf der anderen Seite kämpferisch verteidigt – die gesamte Handlung war ein Kampf, ein Gefühlskarussell: In dem einen Moment freut man sich für die beiden, grinst breit, schmachtet lächelnd, weil Jonas und Erik so süß sind, im anderen prasselt die unschöne Realität auf die Figuren und den Leser ein, ein Hindernis folgt auf das andere und man schlägt sich mit bedrückenden, traurigen und wütenden Gefühlen herum und möchte manche Figuren einfach nur aus der Geschichte kicken. Andere wiederum – hier muss ich einerseits Jonas und Erik einfach nochmal hervorheben, die sich gegenseitig so sehr den Rücken stärken und so schöne Worte füreinander finden, und andererseits Eriks wundervolle Oma Selma erwähnen, bei der mir wirklich das Herz aufging – möchte man einfach nur in den Arm nehmen.

Nach einem wirklich schweren Start bin ich restlos begeistert. Das Buch ist unglaublich schön, authentisch, realistisch (wenn man auch von der Verhaltensweise mancher Personen hofft, dass sie nicht realistisch ist) und voller Gefühle, sowohl positiver als auch negativer Art. Aber das Ende macht, wie alle Bücher von Kooky Rooster, glücklich.

 

Fazit

Wieder ein wundervolles Buch aus der Feder von Kooky Rooster – ich glaube, ich werde nach und nach alles lesen, was es von ihr zu lesen gibt. Absolute Leseempfehlung und 4 Sterne.