Rezension

Nach oben buckeln, nach unten treten, Heinrich Manns Gesellschaftsanalyse zum Kaiserreich ist super gelungen

Der Untertan - Heinrich Mann

Der Untertan
von Heinrich Mann

Bewertet mit 5 Sternen

"Diederich Heßling war ein weiches Kind, das am liebsten träumte, sich vor allem fürchtete und viel an den Ohren litt."

Die ersten Sätze des "Untertan" von Heinrich Mann deuten schon darauf hin, dass die Hauptfigur Diederich, Sohn eines Papierfabrikanten, mit diesen eher "weichen" und "unmännlichen" Eigenschaften in der streng hierarchisch aufgebauten und militaristisch und imperialistisch geprägten Gesellschaft des Kaiserreiches seine Probleme bekommen wird.

Heinrich lernt schnell, wie er sich seine Weltsicht so hinbiegen kann, dass sie auf seinen Vorteil hin ausgelegt ist, wie er einerseits bei den Übergeordneten schleimt und andererseits bei den Untergebenen noch mal nachtritt, so wie es auch sein Vater, seine Lehrer und Ausbilder beim Militär vorgelebt haben. Diederichs größtes Vorbild und Anbetungsobjekt ist dabei der deutsche Kaiser Wilhelm II, dessen Reden er zitieren kann und schließlich sogar dessen Gedanken zu eintretenden Geschehenissen, wie z. B. der Erschießung eines Arbeiters durch einen Wachsoldaten, vorausdeuten kann...

Ein hochpolitisches, historisch wichtiges und gesellschaftsanalytisches Buch über das Kaiserreich, durch das man auf unterhaltsame Weise lernen und erkennen kann, wie hier die Grundlagen für die spätere geschichtliche und gesellschaftliche Entwicklung des Deutschen Reiches und der Weimarer Republik bis hin zum Nazi-Regime gelegt wurden. Es erklärt z. B. auch, wieso der Verlust des Kaiserreiches nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg eine so bedeutende Rolle in den Köpfen der Menschen damals hatte, für die der Kaiser eine Art Gottheit war und ebenso, wieso die Weimarer Republik mit ihrem Modell der Demokratie, die von der kaiserlichen Gesellschaft abgelehnt wurde, nicht funktionieren konnte. Auch Gedankengut, was später bei den Nazis wieder auftaucht, wie Eugenik, Antisemitismus und Rassismus werden im Kaiserreich schon sehr deutlich...

Neben dieser historischen Komponente gibt es jedoch auch die, die zeitunabhängig ist, nämlich die Analyse des Charakters von Diederich und seinen Mitmenschen. Man erkennt in seinem Wesen oftmals die lieben Arbeitskollegen, Verwandten oder auch Aussagen in den Medien wieder, was sehr gruselig ist, wenn man versteht, dass es diese schon vor 100 Jahren gab und wozu diese geführt haben.

Bei den ganzen inhaltlichen Themen kommt der Lesespaß, sobald man sich in den sehr komplexen Erzählstil hineingefunden hat, nicht zu kurz. Man fiebert richtig mit, was als nächstes passiert und regt sich auch an vielen Stellen über die Dummheit und Verbohrtheit der Figuren auf.

Dieses Buch lässt einen also nicht kalt und ist deshalb auf jeden Fall zu empfehlen!