Rezension

Nachbarn auf einer Bahnfahrt

6 Uhr 41 - Jean-Philippe Blondel

6 Uhr 41
von Jean-Philippe Blondel

6 Uhr 41 fährt der Zug nach Paris ab. Neben Cécile ist noch ein Platz frei, und dorthin setzt sich jemand, den sie auch nach fast dreißg Jahren wiedererkennt. Philippe war damals der Schwarm aller Mädchen, Cécile eine graue Maus. Heute ist das ganz anders: Sie ist attraktiv und eine erfolgreiche Geschäftsfrau, er ist schlaff und lässt sich treiben. Beide erkennen sich sofort wieder, doch keiner wagt es, das zu zeigen: Damals hatten sie eine Beziehung, die dramatisch und verletzend geendet hat. Was kann man nach so vielen Jahren zueinander sagen? Jeder der beiden grübelt, lässt die Erinnerung Revue passieren und zieht eine Bilanz seines Lebens. Und dabei wird deutlich, dass die vergangene Beziehung trotz ihrer Kürze beide Leben stark beeinflusst hat - zum Guten wie zum Schlechten... Wird es noch zu einem Gespräch kommen oder gar zu mehr?

Die Zugfahrt wird von beiden Seiten geschildert; abwechselnd sprechen die beiden Protagonisten aus der Ich-Perspektive. Und da sie nicht miteinander sprechen, sondern in einem inneren Monolog ihr eigenes Leben betrachten, sind sie gnadenlos ehrlich. Alles kommt auf den Prüfstand: Die Beziehung zum Partner und zu den Kindern, der Beruf, die Vorstellung von einem guten Leben. Das nimmt den Leser mit und führt zu einer tiefgehenden Identifikation. Und so wurde ich von diesem Buch sehr berührt und fing gleich an, auch mein Leben zu analysieren und mir Gedanken über die Beziehungen in meiner Jugendzeit zu machen... Was wäre, wenn ich meine erste Jugendliebe wieder träfe?