Rezension

Nachdenkenswerte Lektüre in tollem Schreibstil und einer Geschichte mit Schwächen

Ein anständiger Mensch - Jan Christophersen

Ein anständiger Mensch
von Jan Christophersen

Bewertet mit 3.5 Sternen

Steen, studierter Philosoph, Schriftsteller und Anstandsonkel der Nation, verbringt mit seiner Frau Frauke und einer guten Freundin und ihrem neuen Partner ein Wochenende auf ‚seiner‘ Insel, wohin er sich immer wieder für einige Wochen zurückzieht, um dort zu schreiben. Von Beginn an besteht ein gewisses Ressentiment zwischen Steen und Gero, dem neuen Freund von Ute, das sich deutlich verstärkt, als ihn einige Zeit nach deren Ankunft Frauke an die Einhaltung eines Versprechens erinnert, das sie sich vor Jahren gegeben haben: sich gegenseitig in der Liebe die größtmögliche Freiheit zu lassen. Steen trifft dies sehr, doch es bleibt nicht bei dieser Kränkung: das Wochenende endet in einem Drama, dass das Leben fast aller Anwesenden verändert.

Für dieses Buch eine Rezension zu schreiben, empfinde ich als richtig schwierig. Für einen herkömmlichen Roman plätschert die Geschichte häufig so dahin, da ‚nur‘ die Gedanken und Überlegungen von Steen dargelegt werden, die fast schon philosophisch anmuten. Dennoch gibt es immer wieder überraschende Wendungen und Ereignisse, die einen regelrecht an das Buch fesseln – nur nicht allzu lange. Liest man das Buch somit mit der Erwartung einer spannenden Lektüre, könnte man ziemlich enttäuscht werden.

Sprachlich jedoch ist das Ganze auf jeden Fall ein Genuss; einerseits in seinen hervorragenden Beschreibungen der Landschaften und Atmosphären, andererseits wie er weiter- und tiefergehende Gedanken klar und verständlich formuliert. Gleich zu Beginn haben mich die ersten drei Sätze völlig für das Buch eingenommen: „Eins passierte nach dem anderen. Wie hätte es auch anders sein können? Die Gegenwart, in der wir uns befanden, wusste nicht, was nach ihr kam, und der Scheinwerfer der Erinnerung leuchtete noch nicht mit seinem voreingenommenen Licht die Szene aus.“

Liest man es als eher philosophisches Werk, wird man vermutlich auch nicht richtig glücklich damit, da die dafür notwendige Tiefe fehlt. Fragen wie ‚Wie wichtig ist Moral und Anstand? Stehen sie über dem Menschsein?‘ werden nicht explizit ausformuliert, stehen aber bei der Geschichte stets im Raum; Antworten ergeben sich dazu jedoch nur indirekt. Und noch eines wird deutlich, ohne dass es überhaupt konkret niedergeschrieben wurde: Wie wichtig es ist, dass Menschen MITEINANDER reden, ohne Mutmaßungen über die anderen anzustellen, dass man ja eh schon weiß, was die denken und wollen.

Ein sehr vielschichtiges Buch, das viele Anregungen zum Selberdenken liefert, aber bei der eigentlichen Geschichte ein bisschen schwächelt. Ich fand es trotzdem lesenswert.