Rezension

Nachhaltig philosophisch wertvoll

Der Garten meiner Mutter - Anuradha Roy

Der Garten meiner Mutter
von Anuradha Roy

Allgemein

„Der Garten meiner Mutter“ war ein für mich sehr schwieriger Roman.
Trotz des Titels, hatte ich die Erwartung, dass das Buch aus Gayatris Sicht sein wird. Der Künsterlin, Mutter und freien Seele, der das Buch gewidmet ist. Der Klappentext sagte nichts darüber aus, dass es eigentlich um den Sohn und seine Sehnsüchte geht. Vielmehr ließ er auf Inspiration und Freiheit hoffen.
So schlängelte ich mich durch die erste Hälfte. Es gab keinen roten Faden und auch keinen Ausblick auf einen Höhepunkt. Die Zeitstränge wechselten wild hin und her. Wenn ich mal nicht genug aufpasste, war ich verloren und fragte mich nur, warum Sohn Myshkin auf einmal so alt, oder wieder so jung ist.
Natürlich bekam man durch den Sohn auch mit, wie schlecht es seiner Mutter ging. Wie sie unter den Idealen und Vorstellungen ihres Mannes leidete. Doch ihre Gedanken und Gefühle blieben mir als Leser fern.
Erst mit der zweiten Hälfte wurde mir endlich ein Einblick verliehen. Seitenweise Briefe von Myshkins Mutter, die erzählten, wie es ihr in ihrer neuen Welt erging. Persönlich liebe ich es, Briefe in Büchern zu lesen. Es ist, als wären sie für einen Selbst verfasst und plötzlich schwanden die Seiten auch ganz schnell dahin. Es war packend zu lesen, wie sich Gayatri eine neue Welt erträumte, sie dann bereiste und sich eigentlich wieder zurück träumte. Sie wirkte wie ein jahrtausend alter Baum, der so weit von seinen Wurzeln weg gewachsen ist, doch diese nie vergessen hat.
Letzten Endes wirkte das Buch auf mich nachhaltig. Das Buch über hatte ich eine düstere Schwere auf mir und wurde einzig und allein von Roys poetischem Schreibstil in der Luft gehalten. Doch jedes Mal, wenn ich es beiseite legte, sowie nach Beendigung des Buches, gingen mir die Gedanken nicht mehr aus dem Kopf. Ich dachte über Träume, Ideale und Erfüllungen nach. Mich faszinierte der Seelensturm, der in Gayatri tobte, obwohl sie ihren Seelenfrieden gefunden zu haben schien.
Die offensichtlichen Fragen spielten gar keine Rolle. Gerne hätte ich gewusst, was Myshkin so empfand. Ich erlebte, wie er sich im ersten Jahr nach seiner Mutter sehnte und wie er selbst im hohen Alter noch Probleme mit ihren Entscheidungen hatte. Doch interessierte mich die Entfernung. Wann war es, dass Myshkin sich von ihr abwandte? Brach sein Herz und wann war das? Und überhaupt… Folgte Gayatris Kontaktperson all den Anweisungen, die Gayatri ihr gab? Gab sie Myshkin Küsse, unterrichtete sie ihn im Mannsein, sprach sie ihm Mut ohne Hoffnung zu? Vieles fühlte sich Unvollständig an.
Einen großen Pluspunkt bekommt das Buch nochmal, da ihre Figuren nicht fiktiv sind. Viele neue Namen lernte ich kennen. Teilweise sehr interessante Menschen, von denn ich zuvor nie etwas gehört habe. In dem Sinne möchte ich das Buch wieder loben, denn obwohl einige Teile fiktiv sind, hat sich Roy auf die Fakten konzentriert, die ihr zur Verfügung standen und das Buch somit möglichst nah an der Realität gehalten. Dadurch ist es nur natürlich, dass schonmal Längen entstehen.

Charaktere

Ideale sind ein immer schwieriges Thema, die Beziehungen nur komplizieren. Entweder man findet die Person, die den eigenen Idealen entspricht, oder einer der beiden Partner wird sich anpassen müssen. In diesem Falle war es Gayatri. Trotz Myshkins Sicht merkte ich, wie eingeengt sie war. Doch das alles blieb oberflächlich, bis man ihr durch die Briefe in die Seele schauen konnte. Sie verbarg gut, so auch vor mir als Leser.
Schuld an dieser Einengung war Gayatris Mann, doch ich konnte ihm nicht Böse sein. Auch ihm merkte ich an, wie sehr er seinen Weg suchte. Wie er irgendwie in ein Raster passen wollte. Wie er hoffte, dass sich sein Lebenssinn erhält, solange er all seine Ideale erfüllt. Ich empfinde es nachträglich als meisterhaft, wie Roy es geschafft hat, ihre Charaktere eine derartige Tiefgründigkeit zu geben, ohne wirklich viel über sie zu schreiben.
Wer mir oberflächlich blieb war tatsächlich Myshkin. Der großteil des Buches war aus seiner Perspektive und hin und wieder merkte ich die kindlichen Ängste, mit denen er kämpfte, doch er blieb hinter einem Nebelschleier verborgen.

Schreibstil & Sichtweise

Der Schreibstil war der Rettungsreif, der mich über Wasser hielt. In jeglichen Längen, die es im Buch gab, war die poetische Schreibweise meine Kerze. Es ist die Nachhaltigkeit, die ich selten bei einem Buch verspüre. Die Worte hängen nach, sie fanden einen Weg in meine Seele und wollten, dass ich mich noch Stunden später mit ihnen beschäftige.
Geschrieben ist das Buch aus Myshkins Sicht. Der Sohn der Mutter. In der Ich-Perspektive. Viele Seiten lang sind aber auch Briefe der Mutter zu lesen.

Cover & Titel

Das Cover ist rein optisch sehr schön. Die Farben, Bäume und die Weite vermitteln mir dieses Indien-Gefühl. Das Gefühl nach fernen Orten. Daraus lässt sich schon schließen, dass mit dem Garten der Mutter eventuell gar kein richtiger Garten gemeint ist, sondern die Ferne und Kreativität. Ein Ort, wo nicht die Pflanzen aufblühen, sondern Gayatri selbst. Das ist aber sehr viel Interpretation und wenn man nach dem Originaltitel „All the lives we never lived“ geht, passt dieser auf den ersten Blick auch deutlich bsser.

Zitat

Warum nicht für eine Ewigkeit bleiben, wo es Grund zum Verweilen gibt?
Warum noch eine Minuter bleiben, wenn es Grund zum Aufbruch gibt?
– Seite 99

Fazit

Je länger ich über dieses Buch nachdenke, desto besser gefällt es mir. Man muss sich darauf einlassen können, dass das Buch zwar deutliche Längen hat, in denen nichts passiert, aber man nachhaltig belohnt wird, wenn man sich gerne in Gedanken verliert und philosophiert.