Rezension

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Nachkriegsliteratur aus einer ganz neuen Perspektive

Der Vorleser
von Bernhard Schlink

Klappentext:

Sie ist reizbar, rätselhaft und viel älter als er...und sie wird seine erste Leidenschaft. Sie hütet verzweifelt ein Geheimnis. EInes Tages ist sie spurlos verschwunden. Erst Jahre später sieht er sie wieder. Die fast kriminalistische Erforschung einer sonderbaren Liebe und bedrängenden Vergangenheit

 

Meine Meinung:

Das Buch ist kurz und knapp geschrieben, obwohl die Handlung sich über mehrere Jahrzehnte hinzieht, vielleicht aber gerade deshalb so aussagekräftig. "Der Vorleser" beleuchtet die NS-Zeit aus einer ganz neuen Perspektive, nämlich aus der eines jungen Mannes, der feststellen muss, dass er eine Mörderin liebt, die für die Vergasung unzähliger Menschen verantwortlich ist. Die Klemme, in der der junge Michael Berg sich befindet, indem er Hanna einerseits für das verachtet, was sie getan hat, und sich wünscht, dass sie angemessen bestraft wir, andererseits aber versucht ihr Verhalten zu verstehen, nachzuvollziehen und rechtfertigen zu können überträgt Schlink wunderbar auf den Leser: Auch ich war die ganze Zeit hin- und hergerissen, ob ich mir wünschen sollte, dass Hanna verurteilt wird oder nicht. Der Aspekt des Analphabethismus bringt bringt zusätzlich ein brisantes und interessantes Thema in die Geschichte mit hinein. Hannas tragischer Tod am Ende der Romans hat mich sehr erschüttert, zugleich aber auch erleichtert, weil ich mir eine schöne Zukunft für sie einfach nicht vorstellen konnte.

Insgesamt ist das Buch sehr ansprechend geschrieben und zwingt den Leser dazu, sich mit den aufgeworfenen Fragen auseinanderzusetzen, Stellung zu beziehen in einem sehr schwierigen Konflikt, seinen Kopf anzustrengen und sich zum Thema Nationalsozialismus, Schuld und Schuldfähigkeit Gedanken zu machen. Mich hat dieses Buch sehr zum Nachdenken angeregt und dafür bin ich Bernhard Schlink dankbar. Das Ganze einmal aus Sicht der Schuldigen zu betrachten, war unglaublich interessant, irritierend und auch zermürbend. Hanna selbst bleibt das ganze Buch hindurch ein Rätsel. Das Einzige, was ich mir gewünscht hätte, wäre ein einziges Mal Einblick in Hannas Gedanken zu erhalten und zu wissen, wie sie ihre Position in der Vergangenheit betrachtet, ob sie sich schuldig fühlt und was sie über ihre Beziehung zu Michael denkt. Wobei der Selbstmord am Ende vermutlich Schuldeingeständnis genug war.