Rezension

Nächte allumfassender Sprachlosigkeit

Ermordung des Glücks - Friedrich Ani

Ermordung des Glücks
von Friedrich Ani

Bewertet mit 4.5 Sternen

“Friedrich Ani vereint erneut grenzenlose Traurigkeit, menschliche Abgründe und atemlose Spannung in einem an Melancholie kaum zu übertreffenden Roman.”

Behauptet die Klappbroschur.

Atemlose Spannung? Das kommt wohl drauf an, wie man Spannung definiert, was man von einem spannenden Roman erwartet. Serienmörder, Blutgelage, Verfolgungsjagden? Fehlanzeige. Die Spannung in “Die Ermordung des Glücks” kommt leise und unaufgeregt daher.

Die spezielle Methode des Ex-Kommissars Jakob Franck ist die ‘Gedankenfühligkeit’: eine Art meditative Selbsthypnose, eigentlich das genaue Gegenteil von ‘atemlos’. Da kann es schon mal vorkommen, dass er stundenlang bewegungslos und schweigend auf ein Beweisstück starrt, bis das Beweisstück zu ihm spricht – oder auch nicht.

Aber grenzenlose Traurigkeit, menschliche Abgründe und Melancholie, das trifft es sehr gut. Ich visualisiere Szenen beim Lesen immer sehr stark, und hier habe ich graue Menschen auf grauen Straßen unter grauem Himmel vor mir gesehen, zu einem inneren Soundtrack melancholisch pfeifenden Winds. Man hat das Gefühl, es müsse unaufhörlich regnen in Friedrich Anis Version der Welt.

Zitat:
»Das ist unser Versagen«, rief er. »Wir sind blind und taub und verstaubt, unsere Routine hat uns stumpf gemacht…«

Die Schwermut ist kaum zum Aushalten, man kann erahnen, wie verloren und zerstört sich die Hinterbliebenen in diesem Roman fühlen. Alles bricht auseinander, und dahinter kommen alte Wunden und alte Schuld zum Vorschein.

“Ich fange ein Buch nicht mit der Absicht an, immer noch mehr Finsternis in den Text hineinzuschaufeln. Überhaupt nicht.”
(Friedrich Ani in einem Interview mit der Berliner Zeitung)

Dennoch ist die Finsternis da – und man will trotzdem weiterlesen. 

Jakob Franck überbringt die Nachricht von der Ermordung des Glücks; auch nach seiner Pensionierung fungiert er weiterhin als Todesbote des Kriminalkommissariats. Wenn er nach Hause kommt, sitzen die Toten an seinem Küchentisch und trinken Tee. Wahnvorstellung, paranormale Erscheinung oder Visualisierung des Leids?

Es wird nicht erklärt, und das muss es auch nicht.

Überhaupt lässt der Roman vieles offen, obwohl der Tod des kleinen Lennard am Schluss aufgeklärt ist. Diese Aufklärung erscheint fast nebensächlich, es ist ohnehin niemandem damit geholfen – als wäre es von Anfang an gar nicht darum gegangen, sondern um die Trauer, den Selbstbetrug, das ganze Kaleidoskop menschlicher Emotionen.

Es geht auch darum, was die Trauer mit den Menschen macht.

Zitat:
“Vor drei Monaten war sie die Mutter eines elfjährige Sohnes, und nun, da er tot ist, existiert sie nicht mehr. Jedenfalls stelle ich mir vor, dass sie ihr Dasein für einen Irrtum hält, eine optische Täuschung, eine Beleidigung der Natur.”

Friedrich Ani hat ein feines Gespür für die Gefühle seiner Charaktere; in den Monologen und Dialogen erreichen die Emotionen eine schmerzliche Intensität. Die Charaktere sind in meinen Augen grandios geschrieben, besonders Ex-Kommissar Jakob Franck hat eine ungeheure Präsenz.

Der Schreibstil ist außergewöhnlich, fernab der Klischees. Er besitzt eine Art düsterer Poesie und entwickelt sehr viel Atmosphäre. Nur manchmal erschien mir der Sprachklang nicht authentisch, wenn die eher ungebildete Mutter des kleinen Todesopfers spricht.

FAZIT

Ein kleiner Junge verschwindet und wird 34 Tage später tot aufgefunden. Der pensionierte Kommissar Jakob Franck überbringt den Eltern die schreckliche Nachricht und der Fall lässt ihn danach nicht mehr los, weswegen er sich mit seiner außergewöhnlichen Methode der ‘Gedankenfühligkeit’ in die Ermittlungen einmischt.

Ein tiefgründiger Kriminalroman, der die Emotionen, Geheimnisse und Abgründe der Hinterbliebenen durchleuchtet.

Diese Rezension erschien zunächst auf meinem Buchblog:
https://wordpress.mikkaliest.de/2018/09/15/rezension-friedrich-ani-ermor...