Rezension

Nahweh nach dem Adrenalinkick

Im Freien - Abenteuer vor der Tür - Björn Kern

Im Freien - Abenteuer vor der Tür
von Björn Kern

Bewertet mit 2 Sternen

Meine Meinung
Meine Vorstellung von im Freien bzw. draußen sein unterscheidet sich sehr von der des Autors. Am Ende der Lektüre schließe ich das Buch und überlege was das eigentlich ist, das Björn Kern ein Jahr lang praktizierte und von dem er in diesem Buch erzählt.

Meine Vorstellung von “Back to Nature” und Abenteuer erleben hat nichts mit dem zu tun, was Björn Kern macht, obwohl der Beginn noch ganz lustig war.

Es ist März, im Büro quält er sich, bringt nichts zustande, mit dem er zufrieden ist und merkt, dass ihn die Natur ruft. Er möchte ins Draußen, was für ihn bedeutet, raus aus dem Alltag, dem Eingesperrtsein im kommerziellen Leben, den Pflichten, der Ausbeutung der Umwelt, den Gepflogenheiten der Gesellschaft usw. Im Draußen bedeutet auch für ihn diesen Prozeß im Kopf zu vollziehen. Erst wenn er auch im Kopf losgelassen hat, ist er gänzlich frei. Manchmal dauert es einige Zeit, bis er sich auch im Kopf draußen fühlt, obwohl er bereits draußen in der Natur ist.

“Und da ist er wieder, der Moment. Der Moment, den ich nur vom Draußensein kenne. Ich spüre das Adrenalin, die totale Wachheit, eine ungekannte Energie. Ich fühle mich aufgeputscht, in einem Zustand rigider Klarheit. Es ist die absolute Präsenz. (Buch S. 11)

So beschließt er ganz spontan eine Nacht im nahegelegenen Wald zu verbringen. An einem Unterschlupf mit Grillstelle, Bank und Überdachung. Doch es packt ihn die Angst, nachdem er ein Bellen hört und seine Gedanken nicht abschütteln kann. Sein Feuer ist abgebrannt, die Äste knacken und leuchtende Punkte starren ihn an. Er flieht so gut und so schnell es geht wieder raus aus dem Wald.

Dieses Abenteuer und noch viele weitere erlebt der Autor, wenn ihn das Nahweh packt. Denn seiner Meinung nach muss man nicht in die Ferne schweifen, wenn die gute Natur vor der eigenen Türe ruft.

Doch Björn Kern praktiziert eine sehr extreme Variante von im Draußensein. Nachts über die Gleise Richtung Osten spazieren. Mit dem Sohn zum schlimmsten Zeitpunkt, bei Gewitter, Blitzen und furchtbarem Regenschauer Zelten zu gehen, in der Oder schwimmen, obwohl dies wegen starken Strömungen verboten ist. Und schließlich Eisschwimmen im Januar, ganz alleine, in einem zugefrorenem See, ganz spontan, ohne richtige Vorkehrungen getroffen zu haben, für den Fall, dass was passiert.

“Ich wäre nicht der Erste, der von der Strömung abgetrieben wird und das Ufer nicht mehr erreicht. Aber was tun, wenn das Nahweh größer ist als die Vernunft? Wenn eine Kraft ausgeht von dieser Nacht, von diesem Fluss, gegen die eine paar Millionen Synapsen machtlos sind?” (Buch S. 154)

Dies ist für mich nicht mehr nur die Natur zu erleben, sich vom Alltag zu befreien. Björn Kern braucht eine Art Naturkick, das Adrenalin, um Natur fühlen zu können. Es ähnelt diesen Extremsportlern, die immer höher, immer weiter gehen, um den nächsten Adrenalinkick zu bekommen und sich lebendig zu fühlen.

Trotz Familie und Kind sucht er diese Extreme und auch Gefahr. Wäre er ein Single, könnte ich noch einigermaßen darüber hinwegsehen aber als Elternteil sehe ich es nicht als angebracht.

Es ist ein sehr persönliches Buch, das sich für mich eher nach einer Art Suche im Leben anhört, als aus dem Alltag ab und zu auszubrechen und ein Nahweh nach der Natur zu haben.

Fazit
Alle, die etwas darüber erfahren wollen, wie man schnell, leicht, spontan und kostengünstig aus seinem Alltag in die Natur vor der Nase ausbrechen kann, werden hier enttäuscht werden.

Empfehlen kann ich dieses Buch denjenigen Leser*innen, die erfahren wollen, welche extremen Erlebnisse der Autor im Oderbruch, im Märkischen Wald in Brandenburg ein Jahr lang gemacht hat. Manche sind skurril, manche lustig und andere gefährlich. Ich jedenfalls hatte andere Erwartungen an das Buch.