Rezension

Nerdig chaotisch, aber auch spannend und tragisch

Alles, was wir verloren haben - Valerie Geary

Alles, was wir verloren haben
von Valerie Geary

Bewertet mit 3 Sternen

Das Cover zu Valerie Gearys Roman "Alles, was wir verloren haben" hat mich förmlich angesprungen und auch der Klappentext hat mich neugierig gemacht - das Hauptthema der Geschichte ist sehr speziell und gibt ihr definitiv einen freakigen, aber auch einen sehr mystischen Anstrich, was mir von Anfang an gut gefallen hat. Denn es geht: Um UFOs und Außerirdische beziehungsweise die Besessenheit davon, dass außerirdische Lebensformen sich auf unserem Planeten breit gemacht haben. Nolan, Lucys Bruder, ist krankhaft besessen von UFOs am Nachthimmel, von Aliens, die sich in Gestalt von Menschen unter die Leute mischen, und von einer Regierung, die all das zu vertuschen versucht und dabei über Leichen geht - bis er eines Tages verschwindet, unter mysteriösen Umständen und ohne eine Spur zu hinterlassen.

 

Das ist eine unheimlich spannende Ausgangssituation, zumal das Ganze aus der Sicht von Nolans jüngerer Schwester Lucy geschildert wird, einer Skeptikerin, die vor allem kurz vor seinem Verschwinden sehr unter Nolans wahnhaftem Verhalten gelitten hat und nun, 10 Jahre später, nicht verwinden kann, dass er fort ist. Geary taucht dabei tief ein in Lucys Gefühls- und Gedankenwelt und transportiert all den Schmerz, der Lucy auch 10 Jahre nach dem Verlust ihres Bruders daran hindert, ein normales Leben zu führen. Mich hat diese Tragik und diese Melancholie sehr berührt, denn sie stürzt ungefiltert auf einen ein und lässt weder Lucy noch den Leser los. 

 

In ihrer Geschichte verbindet Valerie Geary Trauer, Schmerz und Verlust mit einem mysteriösen Kriminalfall, mit der nervenaufreibenden Suche nach der Wahrheit. Dabei begleitet der Leser nicht nur Lucy dabei, wie sie den Fall ihres Bruders aufzuklären versucht, sondern erfährt parallel dazu viel über Nolan und seine UFO-Besessenheit. Geary schiebt immer wieder Kapitel ein, die in den Monaten vor Nolans Verschwinden spielen und in denen der Fokus auf seiner zunehmenden Paranoia liegt. Auf diese Weise kann man nachvollziehen, wie sich Nolans anfängliche Begeisterung für die Sterne und Sichtungen von fliegenden Untertassen zu einer Besessenheit auswächst, die sein ganzes Leben bestimmt, ihn von den Menschen, die ihn lieben, entzweit und ihn zu einem Verschwörungstheoretiker macht, der fest davon überzeugt ist, in Kontakt mit Außerirdischen zu stehen. Das Ganze habe ich beim Lesen als sehr schmerzlich empfunden, weil mir Nolan so unheimlich leid getan hat, ich gleichzeitig aber auch die Verzweiflung und die Machtlosigkeit seiner Familie nachmepfinden konnte. 

 

Ich finde es großartig, wie Valerie Geary einerseits die verworrene Psyche eines Teenagers und das verzweifelte Hoffen von Lucy und ihrer Mutter in den Vordergrund stellt, andererseits aber auch einen spannenden Kriminalfall in die Geschichte einwebt. Ich wollte unbedingt wissen, was mit Nolan passiert ist - da ich Skeptiker bin, habe ich natürlich zu keiner Zeit an eine Entführung durch Aliens geglaubt - und habe damit gerechnet, dass Geary die Fäden am Ende zusammenlaufen lässt und mich mit ihrer Auflösung völlig vom Hocker reißt. Das ist allerdings nicht passiert, denn mir blieben zu viele Fragen offen. Geary wirft dem Leser die Puzzleteile vor die Füße und fordert ihn quasi dazu auf, sie selbst zusammenzusetzen, was ich an für sich genial finde. Und trotzdem hätte ich mir am Ende eine andere, eine zufriedenstellendere Lösung erhofft. Etwas, das es mir erlaubt, mit der Geschichte abzuschließen - wobei das, was Geary mit dem Leser macht, wie gesagt auch ein hervorragender Kniff ist. Aber eben leider keiner, der mir gefällt und mit dem ich mich im Kontext der Geschichte abfinden könnte.

 

Davon abgesehen hat der Roman in meinen Augen eine weitere große Schwachstelle: Ihm fehlt die Identifikationsfigur. Durchweg alle Figuren (und damit meine ich alle) waren mir unsympathisch, erschienen mir unnahbar oder haben mich regelrecht angewidert. Auch wenn dieser Aspekt der Geschichte etwas Düsteres, Beklemmendes und bestimmt auch Realistisches verleiht, macht es das einem unheimlich schwer, mit den Charakteren mitzufiebern. Vor allem Lucys Gefühle werden zwar wie gesagt gut transportiert, trotzdem wirkte sie auf mich wie ein Schatten, weil man so wenig über sie erfährt und vor allem ihr 14-jähriges Ich nicht wirklich mögen kann. Lucys und Nolans Eltern, Nolans ehemaliger bester Freund, der alleinstehende Nachbar, der nach außen so freundlich wirkende UFOloge - viele davon fand ich einfach nur furchtbar, alle haben sie etwas Negatives an sich. Einerseits werden sie dadurch natürlich zu Verdächtigen im Vermisstenfall Nolan, was die Handlung anheizt, andererseits aber fiel es zumindest mir beim Lesen sehr schwer, irgendetwas Positives an der Geschichte zu finden - einen Lichtblick am Ende des Tunnels. Die Stimmung war mir über weite Strecken einfach zu düster und hoffnungslos, zu wirr und chaotisch.

Mein Fazit
In erster Linie ist "Alles, was wir verloren haben" eine interessante Mischung aus freakig chaotisch und spannend - mir gefällt die Grundthematik der Geschichte, die Kombination aus Krimi und Drama. Auf eine bestimmte Weise mag ich auch Valerie Gearys Stil - sie überlässt wahnsinnig viel der Fantasie des Lesers, was die Handlung besonders macht. Allerdings hat der Roman für mich auch zwei wesentliche Schwachstellen: Zum einen sind das die Charaktere, die ich durch die Bank weg entweder unnahbar und blass oder unsympathisch bis hin zu eklig fand. Zum anderen hat mich die Geschichte am Ende nicht zufriedengestellt, auch wenn sie zwischenzeitlich richtig packend war. Ich bin also am Ende nicht völlig überzeugt von diesem Buch.