Rezension

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Nett, aber nicht ganz überzeugend

Als das Meer uns gehörte - Barbara J. Zitwer

Als das Meer uns gehörte
von Barbara J. Zitwer

Bewertet mit 3 Sternen

Tess, erfolgreiche Schuhdesignerin, lebt mit ihrem (Haus-)Mann und dem gemeinsamen 8-jährigen  gehörlosen Sohn Robbie in Manhattan. In der Vorweihnachtszeit wird der Mann von einem jugendlichen Gangster überfallen und ermordet. Für Tess und Robbie bricht eine Welt zusammen. Da Robbie Tess die Schuld am Tod seines Vaters gibt, zieht er sich immer mehr vor ihr zurück. Als Tess dann auch noch eine weitere schlimme Wahrheit verkraften muss, flüchtet sie am Weihnachtstag aus Manhattan. Dass an diesem Tag, an dem auch in den USA Weihnachten gefeiert wird, in Manhattan Presslufthämmer dröhnen und große Baugerüste aufgestellt werden, glaube ich einfach nicht. Hier sollte wohl eher der krasse Gegensatz dargestellt werden zwischen der Millionenstadt und dem verschlafenen Fischernest, in das Tess mit Robbie fährt. Montauk, der Ort ihrer Kindheit, direkt am Meer, wo Tess' alter Onkel Ike ein heruntergekommenes Motel besitzt. Bis hierher steigert sich die Geschichte, es kommen immer neue Tatsachen hinzu, die Spannung steigt, wie es mit Mutter und Sohn wohl weitergehen, ob Tess wieder einen Zugang zu Robbie finden wird. So einen Onkel Ike sollte jeder von uns haben, wohin man in Zeiten tiefster Verzweiflung flüchten kann.
Sehr gut gefallen haben mir auch die Naturbeschreibungen. Das Meer im Winter, später dann im Frühling und Sommer, die wechselnden Jahreszeiten und Wetterlagen, all das sah ich vor meinem geistigen Auge und glaubte es fast riechen zu können. Dieses Meer hat etwas Tröstliches, doch es scheint Tess und Robbie nicht direkt zu erreichen. Robbie findet erst ein wenig neuen Halt, als er den Meeresbiologen Kip kennenlernt und mit ihm Wale beobachtet. So faszinierend, wie diese Giganten der Meere sind, hier hat die Autorin es ein wenig zu gut gemeint. Kein Wal schwimmt so dicht neben einem Segelboot her, dass ein Achtjähriger ihn mit der Hand streicheln kann. Trotzdem fand ich die Walbegegnungen, genau wie die Meeresbeschreibungen, interessant.
Tess hingegen nervte zunehmend. Sie erwartet von ihrem Sohn, dass er all ihre plötzlichen Entscheidungen akzeptiert und mitträgt. Statt ihn in ihre Gedanken und Pläne einzubeziehen, ihm zu erklären, stellt sie ihn immer wieder vor vollendete Tatsachen und bedauert sich dann selbst, dass sie es so schwer hat mit ihm. Die Situationen wiederholen sich. Mal ist es das Essen, die Bibliothek, die Schule ... Alles wird von Tess bestimmt und ist Kampf. Der größte Teil des Buches dreht sich um dieses Hin und Her zwischen Mutter und Sohn, bis Robbie durch ein Schlüsselerlebnis plötzlich Montauk als seins ansieht und schützen möchte. Auch diese Szene fand ich etwas aufgesetzt. Tess findet nach und nach zu ihrer alten Form zurück, d.h. sie packt Projekte an und führt diese zum Erfolg. Sei es die Renovierung des Motels oder die Kreation neuer »Strand-Schuhe«. Dass  sie als Mutter nicht in der Lage ist, auch das »Projekt Sohn« aus eigener Kraft zu einem guten Ausgang zu bringen, ist ebenso bedauerlich wie klischeehaft. Tess ist eben Geschäftsfrau, die Lösung kommt, sehr dramatisch, nicht von ihr, sondern von Robbie. Allerdings fragte ich mich, ob ein Acht- oder Neunjähriger wirklich nach einem ersten Sommer-Segelkurs zu solchen Heldentaten in der Lage ist. 
Die meisten Figuren blieben für mich entweder rätselhaft und widersprüchlich oder blass. Dass es kein klassisches Happy End im Sinne von "... uns sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage ..." gab, empfand ich dagegen als wohltuend. 
Ein Lob an den Gestalter des Schutzumschlages. Die silber-blaue, leicht geriffelte Oberfläche und das Bild mit dem Schatten des Wals neben dem schwimmenden Jungen gefallen mit sehr gut.
Fazit: Etwas in die Länge gezogene Geschichte mit netten Naturbeschreibungen. 3***