Rezension

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Nicht ganz überzeugt

Die Gewitterschwimmerin - Franziska Hauser

Die Gewitterschwimmerin
von Franziska Hauser

Das Buch beginnt mit der Ich-Erzählerin Tamara Hirsch, die vom Tod ihrer Mutter erfährt. Doch trauern kann sie nicht; da sind zu viele belastende Erinnerungen. Wie in einem ungeordneten Fotoalbum werden in den folgenden Kapiteln Szenen aus der Familiengeschichte dargestellt: 1889, als die Schaufenster im Geschäft der jüdischen Familie Hirsch zerschlagen werden, der Erste und der Zweite Weltkrieg und die Nazizeit, in der Friedrich als Jude verfolgt wird und sein Sohn Alfred als Kommunist in der französischen Résistance arbeitet, die Fünfziger-Jahre, als Alfred Karriere im Staatsapparat der DDR macht und mit seiner Frau viele Auslandsreisen unternehmen darf, während seine beiden Töchter Tamara und Dascha der Haushälterin überlassen werden, die Siebziger-Jahre, als Tamara selbst zwei Töchter bekommt und unter den Einschränkungen ihrer Freiheit leidet, während ihre Schwester Dascha langsam in Alkoholsucht und Psychose abdriftet. Und schließlich die Gegenwart, in der Tamara immer noch am liebsten nackt im See schwimmt, gern auch während eines Gewitters.

Eine Familiengeschichte über mehrere Generationen, das ist nicht neu. Das letzte Jahrhundert dabei zu beleuchten kann interessant sein. Doch mehr als die politischen Aspekte haben mich die privaten berührt, hier insbesondere das Drama des Kindesmissbrauchs. Sowohl Vater Alfred als auch Onkel Anton, dieser unter dem Deckmäntelchen als Arzt, kommen Tamara viel zu nah und lassen das Mädchen verstört und hilflos zurück. Ist das auch der Auslöser für Daschas Psychose? Mutter Adele missbraucht die Tochter einer befreundeten Familie, ohne dass deren Eltern etwas bemerken. Das ist erschreckend zu lesen, wird aber meist nur nebenher erwähnt; zu sehr muss Tamara diese Erlebnisse verdrängen. 

Ganz überzeugt hat mich das nicht: Missbraucht ein Mann, der regelmäßig Beziehungen hat und also doch vermutlich eher auf erwachsene Frauen anspricht, seine eigene Tochter? Wie kommt es, dass Alfred, der überzeugte Widerstandskämpfer, zum Parteibonzen wird? Die Veränderungen der Protagonisten kann ich teils nicht nachvollziehen; es wird durch die Form des Romans mit den zeitlich sprunghaft angeordneten Szenen noch schwieriger. Es fiel mir schwer, einen Bezug zu den Personen zu gewinnen. Und so hat das Buch mich leider nicht wirklich überzeugen können.

Die Autorin schreibt vorab: "Die tatsächliche Geschichte meiner Familie habe ich als Grundlage für diesen Roman verwendet, meine eigene Sichtweise entspricht aber nicht der Sichtweise anderer. Einiges habe ich dazuerfunden und möchte in keiner Weise den Anspruch auf die Wahrheit erheben. Nicht alle Personen sind mit meiner Ausführung einverstanden, haben aber freundlicherweise der Veröffentlichung in Form des freien literarischen Romans zugestimmt."

Auf der Nominierungsliste zum Deutschen Buchpreis 2018

P.S.: Gelesen habe ich das gedruckte Buch, das hier jedoch nicht gelistet wird.