Rezension

Nicht glaubwürdig

Das Verschwinden der Stephanie Mailer - Joël Dicker

Das Verschwinden der Stephanie Mailer
von Joël Dicker

Bewertet mit 3 Sternen

Es geht in diesem Roman um einen Vierfachmord, der bereits 20 Jahre zurückliegt. Damals wurden der Bürgermeister von Orphea, einem kleinen Ort an der amerikanischen Ostküste, sowie seine Frau und sein Sohn erschossen. Außerdem wurde auch eine zufällig vorbeikommende Joggerin zum Opfer. Plötzlich, im Sommer 2014, taucht eine Journalistin auf, Stephanie Mailer, und behauptet, dass damals nicht richtig ermittelt worden sei, denn der wirkliche Täter sei nicht ermittelt worden. Zunächst nimmt keiner Stephanies Behauptungen ernst, aber als sie spurlos verschwindet und nicht wieder auftaucht, werden die Ermittlungen doch wieder aufgerollt.
Der Schreibstil ist flüssig und angenehm zu lesen, und durch die detailreiche Beschreibung des Ortes fühlt man sich mitten in diese Kleinstadt hineinversetzt. Sie wirkt sogar so idyllisch, dass man dort einmal Urlaub machen möchte. Durch den ständigen Wechsel zwischen den Erzählebenen (damals und heute) ist der Roman abwechslungsreich und vielseitig.
Der Prolog und auch der erste Teil des Buches sind sehr spannend geschrieben und man geht davon aus, dass es so bleibt. Aber leider verliert sich die Spannung, weil ab dem 2. Teil  unschöne Längen auftreten, so dass man das Gefühl hat, dass unbedingt viele Seiten gefüllt werden sollten, z.B. wird eine neue Fernsehsendung viel zu intensiv geschildert, die keinerlei Bezug zum Buchgeschehen hat. Und auch die Kindheit des Ermittlers Jesse Rosenberg müsste nicht so ausführlich beleuchtet werden, denn zum eigentlichen Kern des Romans trägt sie nichts bei. Man quält sich schließlich durch die vielen Seiten, ohne dass man das Gefühl hat, der wirklichen Auflösung näher zu kommen.
Bedauerlicherweise erscheint im Laufe der Seiten der Inhalt auch immer abstruser,  so dass man sich fragt, ob hier ein Schelmenstück beschrieben wird oder ob es tatsächlich um die Aufklärung des alten Verbrechens geht. Da soll als Hauptattraktion eines Theaterfestivals ein Stück aufgeführt werden, das eigentlich nicht wirklich existiert, aber trotzdem strömen die Fernsehteams und die Reporter heran, um über dieses Highlight zu berichten, weil es entsprechend angekündigt wird. Die Auswahl der Schauspieler erfolgt erst ein paar Tage vor der Aufführung mit spektakulären Auswahlmethoden, die in meinen Augen nur unglaubwürdig erscheinen und mich an eine Posse à la Till Eulenspiegel denken lassen.
Joel Dicker zeichnet in diesem Buch sehr viele interessante und vielschichtige Charaktere, nur wirken sie leider teilweise unglaubwürdig und klischeebeladen. Da ist z.B. der gebildete Chefredakteur einer bekannten Zeitung, der sich von seiner Geliebten nach Strich und Faden ausnehmen lässt, sich total verschuldet und sogar Firmengelder veruntreut, weil er sich immer wieder von seiner Freundin erpressen lässt mit simplen Drohungen. Oder der ehemalige Polizeichef, der sich zum Theaterregisseur berufen fühlt und sich trotz blamabler Auftritte als Genie betrachtet.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass die zugrunde liegende Idee zu diesem Kriminalfall originell und vielversprechend ist, aber die Ausführung mehr gestrafft werden müsste ohne diese gewaltigen Abschweifungen.