Rezension

Nicht so ganz das, was Cover und Klappentext versprechen

TSUNAMI - 120 Tage in Thailand - Roland Quant

TSUNAMI - 120 Tage in Thailand
von Roland Quant

Bewertet mit 4 Sternen

Bei dem Roman “Tsunami” von Roland Quant geht es um einen Mann namens Andreas Sandler, der den vermeintlich letzten Wunsch seines alten Freundes Prof. Ulrich Melzer erfüllen möchte. Dieser ist nämlich verschwunden und hinterlässt seinem Freund einen Haufen wirrer Notizen, die die letzte Zeit seines Lebens mehr oder weniger dokumentieren.
Sandler soll diese Notizen sichten, ordnen und als Buch veröffentlichen. Sogleich macht er sich daran, dieser Bitte nachzukommen und es entsteht die Geschichte eines Mannes, der in Thailand nach der großen Liebe – in erster Linie jedoch nach sich selbst sucht.

Der Titel des Romans “Tsunami” ist primär etwas irreführend. Zwar spielt der Roman, der gleichzeitig eine Geschichte in einer Geschichte (nennt man das Binnentext?) ist, in Thailand, zu der Zeit, als der Tsunami Tausende von Menschenleben auslöschte. Und tatsächlich spielt dieser Tsunami auch eine Rolle in dieser Geschichte, aber der Grundgedanke hinter all dem ist ein ganz anderer.

Die Haupthandlung bedient besagter Prof. Ulrich Melzer, dessen Erlebnisse in Thailand sich dem Leser immer weiter erschließen. Dabei macht der Autor keinen Hehl daraus, dass es sich bei Melzer um einen egoistischen, dekandenten Lebemann handelt, der den Bezug zur Realität und zu dem, was wir “wahre Werte” nennen, schon längst verloren hat.
Je tiefer Sandler sich in die hinterlassenen Unterlagen hinein arbeitet, um so unsympathischer wird Melzer für den Leser. Und das ist auch bewusst so geschehen.
Melzer scheint anfangs ein einfacher Mann zu sein, der glaubt, in Thailand seine große Liebe gefunden zu haben. Nach und nach werden seine Erlebnisse dort immer extremer. Der Leser begreift sehr schnell, dass dieser Mensch selbstsüchtig, skrupellos und (ich wage mich mal so weit vor) komplett soziopathisch ist. Sein ganzes Leben dreht sich nur darum, neue Erfahrungen und Exzesse zu erleben, die eigenen Grenzen immer weiter zu überschreiten und auf seinem Weg alles nieder zu trampeln, das nicht in seinem Strom mit schwimmt.
Das geht sogar bis hin zum Mord.

Die Rahmenhandlung bestreitet der Erzähler Sandler, der, anfangs noch voller Pflichtbewusstsein seinem alten Freund gegenüber, eifrig die mysteriösen roten Mappen sichtet, um dann nach und nach erkennen zu müssen, was dieser eigentlich für ein Mensch war. Die sich immer weiter steigernde Abscheu ist brillant dargestellt und absolut nachvollziehbar. Einzig hier würde ich kurzzeitig die Bezeichnung “Krimi” durchgehen lassen, denn das Nachvollziehen der letzten Notizen seines Freundes Melzer hat schon etwas von einer Ermittlung. Immerhin wird nach und nach aufgedeckt, was überhaupt geschehen ist.

Wie das Ganze dann endet – nun, das werde ich hier natürlich nicht verraten.

Für mich war dieser Roman eine einzige große Herausforderung, weil ich einfach gestrickt bin und gerne sogenannte Popcornliteratur lese.
Als solche kann man “Tsunami” keinesfalls bezeichnen. Hier gibt es weder Action, noch Sensationen oder sonstige trashige Unterhaltungswerte. Dieses Buch ist eine hochphilosophische Reise zu sich selbst. Hier werden moralische Werte unter die Lupe genommen, Grenzen überschritten und allgemeingültige Sichtweisen in Frage gestellt.

“Wer bin ich? Wo will ich hin? Was macht es aus mir?” Das sind die grundsätzlichen Fragen, die Melzer dem Leser und sich selbst im Laufe der Geschichte zu beantworten versucht.
Dabei bedient er sich der Themen Sextourismus in Thailand, Naturkatastrophen und Selbstfindung. Die im Klappentext erwähnte “außerordentliche (erotische und moralische) Brisanz des Textes” sehe ich persönlich nun eher nicht. Bestenfalls lockt man damit Leser an, die sich etwas komplett Anderes von diesem Roman erhofften.

Die Sexszenen sind schon recht pikant, hauen mich als Fan von Edward Lee und Co. aber nicht mehr vom Hocker.

Was mich jedoch ziemlich beeindruckte, war der Schreibstil, der mitunter nicht nur philosophisch sondern zudem höchst literarisch anmutet. Obwohl ich solche Texte zuletzt in der Oberstufe im Deutschunterricht auseinander pflücken musste, komme ich nicht umhin zu sagen, dass “Tsunami” mich auf seine ganz eigene Art gefesselt hat. Ab und zu gab es Textpassagen und Formulierungen, die mich schlicht vom Hocker gerissen haben. Manches Mal habe ich das Buch kurz zur Seite gelegt, um über die eine oder andere Passage noch einmal nachzudenken. Auch das ist eine Art der Unterhaltung.

Fazit:

“Tsunami” von Roland Quant kann ich den Freunden der seichten Unterhaltung nicht empfehlen, was in diesem Fall auch zu einem Stern Abzug führt. Der geneigte Leserkreis dieser Lektüre ist einfach zu klein. Zudem sind Klappentext, Titel und Cover äußerst irreführend, was zwangsläufig den falschen Leserkreis anzieht. Trotzdem muss ich vor dem Autor meinen Hut ziehen, der mit dieser Arbeit ein philosophisches Kunstwerk geschaffen hat, das man in dieser Form nicht oft in die Finger bekommt. Sprachlich und stilistisch ist dieses Buch ein Hochgenuss, wenn man so etwas denn zu schätzen weiß.