Rezension

Nichts für Zartbesaitete

Das wirkliche Leben - Adeline Dieudonné

Das wirkliche Leben
von Adeline Dieudonné

Bewertet mit 5 Sternen

„Wunderschön und gleichzeitig furchterregend hässlich“ – mit solch einer gegensätzlichen Beschreibung des Buchs warten bekannte Kritiker in ihren Bewertungen auf Buchrücken und -innenseiten auf. Doch ist das überhaupt möglich angesichts der Thematik um einen sadistischen, gewalttätigen Familienvater? Meine Antwort lautet ja.

Für die namenlos bleibende Ich-Erzählerin und ihren kleinen Bruder gehört Gewalt zum häuslichen Alltag. Ihr Vater ist ein brutaler Sadist, der außer fernsehen und Whisky den Rausch der Jagd liebt. Auf seine Kosten kommt er meistens zu Hause zu Lasten seiner Ehefrau, die als unscheinbare Amöbe beschrieben wird und schon lange resigniert hat. Das Mädchen setzt alles daran, damit wenigstens der Bruder sein Lächeln zurückgewinnt, das er durch ein traumatisches Erlebnis außerhalb der Familie verloren hat.

Das Buch ist nichts für Zartbesaitete. Viele Passagen sind roh und unheimlich, seien es die Gewaltszenen zum Nachteil von Mensch und Tier oder die Beschreibungen der ausgestopften Jagdtrophäen im sog. Kadaverzimmer des Vaters. Doch genau so geht es ja leider viel zu oft im wirklichen Leben zu. Und das zu beschreiben ist der Autorin bestens gelungen. Genauso lobenswert ist,  wie sie am Beispiel der jungen Erzählerin einen Hoffnung und Vorbild gebenden Ausweg  aus der häuslichen Gewaltspirale aufzeigt. Das Mädchen will sich nämlich nicht in die Rolle der duldsamen Frau fügen und eignet  sich wissbegierig naturwissenschaftliche Bildung an, was ihr erlauben soll, die häusliche Misere eines Tages zu verlassen.