Rezension

Nichts ist mehr wie früher

Vom Ende der Einsamkeit
von Benedict Wells

Bewertet mit 5 Sternen

Benedict Wells hat mich tief berührt, mich zum Nachdenken angeregt und auch mir auf meinem Weg ein paar gute Ratschläge mitgegeben.

Von einem Tag auf den anderen die Eltern zu verlieren ist so ziemlich das Schlimmste, was Kindern passieren kann. Für Jules und seine beiden Geschwister kommt es noch schlimmer, sie fristen ihr Dasein von diesem Moment an in einem Internat. Und hier beginnt die Geschichte von Jules, dem Jüngsten der drei Geschwister. Benedict Wells lässt ihn die ganze Zeit in der Ich-Form erzählen und dadurch komme ich ihm ganz schön nah. Jules ist ein sehr sensibler und introvertierter Junge und genau so erzählt auch Benedict Wells. Es sind die leisen Töne, die sofort unter die Haut krabbeln und dort weiter kribbeln. Ich begleite Jules über viele Jahre, anfangen 1980. Da war die Welt noch in Ordnung und ich lerne die drei Geschwister in ihrer Unbeschwertheit kennen, die durch den Unfall der Eltern jäh beendet wird. Es folgt ein steiniger Weg, den jeder der drei auf seine ganz eigene Art versucht zu bewältigen. Und dann endet der erste Teil mit einem Satz, in dem so viel Wahrheit steckt:

„Eine schwierige Kindheit ist wie ein unsichtbarer Feind, dachte ich. Man weiß nie, wann er zuschlagen wird.“ (S. 136)

Und das ist nur einer von sehr vielen wunderbaren Sätzen. Benedict Wells hat sich ganz schnell in mein Herz geschlichen mit seiner behutsamen Art, die Dinge beim Namen zu nennen. Und schon nach ein paar Seiten musste ich zum Stift greifen, um die ergreifenden Worte, die er immer wieder findet, festzuhalten.

Es gibt Bücher, die würde ich am liebsten in einem Rutsch durchlesen. Dazu gehört dieses definitiv nicht. Benedict Wells erzählt langsam, er erzählt mit Bedacht und ich muss immer wieder inne halten, um das Gelesene sacken zu lassen. Manchmal muss ich das Buch auch ganz beiseite legen. Aber das ist gut so. Ich bin von Natur aus sowieso kein Schnell-Leser, aber dieses Buch habe ich bewusst langsam gelesen und genossen.

 

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert und selbst die einzelnen Kapitel sind mit tiefgründigen Überschriften übertitelt. Benedict Wells zelebriert Sprache ausgesprochen intensiv und hat mich damit mehr als beeindruckt.

 

„Wäre es wirklich besser, wenn es diese Welt überhaupt nicht gäbe? … Wir existieren alle auf millionenfach unterschiedliche Weisen, damit es kein Nichts gibt, und der Preis dafür ist nun mal der Tod.“ S. 156

 

Nach solchen Sätzen kann ich nicht einfach weiter lesen, da muss ich inne halten, nachdenken und die Emotionen auskosten. Deshalb ist dieses Buch ein besonderes Buch, das ich wohl noch ganz oft hervorholen werde.

 

Fazit: Benedict Wells hat mich tief berührt, mich zum Nachdenken angeregt und auch mir auf meinem Weg ein paar gute Ratschläge mitgegeben.