Rezension

Nimm dich vor der weißen Krähe in Acht

Weiße Krähe - Marcus Sedgwick

Weiße Krähe
von Marcus Sedgwick

Bewertet mit 4 Sternen

"Weiße Krähe" umfasst 279 Seiten, die sich in eine Vielzahl an kurzen Kapiteln gliedern. Das Buch umfasst drei Erzählstränge, die sich abwechseln. Der erste Erzählstrang ist aus Sicht der Ich-Erzählerin Ferelith geschrieben. Die Kapitel dieses Erzählstrangs sind jeweils mit einem besonderen Titel überschrieben, der zum Inhalt des Kapitels passt. Der zweite Erzählstrang ist aus Sicht eines allwissenden Erzählers geschrieben, die jeweiligen Kapitel sind mit einer Datumsangabe überschrieben. Der dritte Erzählstrang beinhaltet Tagebucheinträge aus dem 18. Jahrhundert, die vom Pfarrer des Ortes Winterfold verfasst wurden.

"Weiße Krähe" ist im Februar 2012 als Taschenbuch mit Klappbroschur im dtv Verlag erschienen. Die Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel "White Crow" bei Orion Children's Books. Aus dem Englischen übersetzt wurde der Roman von Renate Weitbrecht.

Das Cover ist sehr mystisch und auffallend gestaltet und passt hervorragend zur Atmosphäre des Romans.

Meine Meinung zum Buch:
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Wie bereits erwähnt, ist "Weiße Krähe" ein Gothic Thriller. Ohne die Besonderheiten dieses Genres genauer definieren zu wollen oder zu können, lässt sich auf jeden Fall sagen, dass dieses Buch mystisch, düster und unheimlich ist. Der Leser begleitet Rebecca und ihren Vater in den geheimnisvollen Ort Winterfold, der Stückchen für Stückchen vom Meer verschlungen wird - in jedem Jahr geht mehr und mehr Land verloren - und in dem vor zweihundert Jahren Schreckliches geschah. Die Bewohner dieses kleinen Küstenstädtchens haben nicht unbedingt etwas gegen Fremde, verhalten sich ihnen gegenüber aber auch nicht gerade freundlich und entgegenkommend, sondern eher misstrauisch und distanziert. Fragen werden nicht offenherzig beantwortet, argwöhnische Blicke werden ausgetauscht. Man spürt die Abneigung gegenüber Rebecca und ihrem Vater, die schon bald folgenreiche Taten nach sich ziehen wird. In dem kleinen Städtchen herrscht eine spannungsgeladene Atmosphäre, die für den Leser greifbar ist. Wie viele Fragen ergeben sich während des Lesens und sorgen für enorme Spannung.

Nicht nur die Bewohner von Winterfold sorgen für Befremdlichkeit und Mystik, sondern auch die Gebäude. Eine verfallene Kirche, ein verlassenes Herrenhaus und Andeutungen auf Ereignisse, die vor knapp zweihundert Jahren dort stattgefunden haben. Marcus Sedgwick legt sein Augenmerk sehr stark auf die Beschreibung der Gebäude, die vor dem geistigen Auge des Lesers neu entstehen.

Die Handlung verläuft sehr geradlinig und konzentriert sich nur auf die wirklich wichtigen Ereignisse, die dazu geeignet sind, die Handlung voranzutreiben. Der Autor baut nur Informationen ein, die für die Entwicklung der Geschichte wichtig sind. Nebensächlichkeiten oder Erzählstränge, die vermutlich die Handlung weiter ausbreiten könnten, aber nicht zu ihrer Entwicklung beitragen, werden weggelassen. So erfährt der Leser kaum etwas über das Leben von Rebecca, bevor sie nach Winterfold gekommen ist. Allein Adam, ihr Exfreund, wird immer wieder erwähnt. Das aber auch nur, weil er bzw. die Beziehung zwischen ihm und Rebecca für die Entwicklung der Handlung von Bedeutung ist. Dennoch ist die Handlung sehr detailreich. Der Autor hat sich viele Kleinigkeiten ausgedacht, die für ein mulmiges Gefühl beim Leser und für Spannung sorgen. Eine harmlose DVD oder eine nicht abgeschlossene Tür können leicht für Gänsehaut sorgen. Die Geschichte übt dadurch einen enormen Sog aus, der den Leser gefangen nimmt. Das Buch ist durchweg spannend, ohne dass ständig etwas Besonderes passiert. Es sind einfach Kleinigkeiten und vor allem viele unbeantwortete Fragen, die den Lesefluss aufrechterhalten und den Leser an die Geschichte fesseln.

Es fällt leicht, sich mit Rebecca anzufreunden. Sie ist ein sympathisches und aufgeschlossenes Mädchen und ihr Leben und Schicksal wird sehr schnell greifbar. Ferelith, mit der sich Rebecca am Anfang des Buches schnell anfreundet, ist dagegen nicht so leicht zu durchschauen. Sie bleibt distanziert und irgendwie unheimlich. Wieso interessiert sie sich so sehr für Rebecca, dass es stellenweise schon unheimlich wirkt? Oder leidet Rebecca unter Verfolgungswahn? Die Kapitel, die aus der Sicht von Ferelith geschrieben sind, geben ein wenig Aufschluss über ihre Gedanken- und Gefühlswelt, aber dennoch bleibt sie bis zum Ende des Buches ein Rätsel.

Ein sehr verwirrender Charakter ist außerdem der Pfarrer von Winterfold, der durch seine Tagebucheinträge aus dem 18. Jahrhundert wieder lebendig wird und als zweiter Ich-Erzähler fungiert. Man merkt als Leser einfach, dass mit ihm etwas nicht stimmt, dass er eine Idee verfolgt, die wahnsinnig ist. Sie fordert eine Handvoll Menschenleben und hat zudem Auswirkungen bis in die Gegenwart. Folgen, die nun Rebecca zu spüren bekommt. Dabei spielt die Religion eine sehr große Rolle und die Frage, was den Menschen nach dem Tod erwartet. Gibt es ein Leben nach dem Tod? Was erwartet uns? Werden wir allein gelassen oder werden wir liebe Menschen um uns haben? Die Angst vor dem Tod und der Ungewissheit treibt den Pfarrer zu schrecklichen Taten an.

Viele Informationen, die der Autor dem Leser anbietet, machen nicht sofort Sinn. Stattdessen ist es die Aufgabe des Lesers, die Puzzlestückchen aufzusammeln und sie zu einem Bild zusammenzusetzen. Schon nach den ersten Andeutungen ergibt sich ein Hauch eines Bildes, dessen Details aber nur zu erahnen sind. Sichtbar wird dieses allerdings nicht eher, als der Autor es zulässt und weitere nützliche Hinweise anbietet...

Durchweg wird das Buch beherrscht von der mystischen und undurchdringlichen Grundstimmung, die dem Buch den Namen Gothic Thriller verpasst. Schauplätze wie verfallene Kirchen und Friedhöfe sorgen zudem für Gänsehaut.

Der Schreibstil des Autors ist sehr eindringlich und für ein Jugendbuch angemessen. Das Buch liest sich leicht und flüssig. Die drei verschiedenen Erzählstränge lassen sich an kleinen Besonderheiten, wie zum Beispiel den Kapitelüberschriften, leicht auseinander halten. Sie geben der Geschichte das gewisse Etwas.

Mein Fazit:
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Spannung pur - dieses Buch bereitet Gänsehaut und übt einen enormen Sog aus. Ich würde gerne 4,5 Sterne verteilen, das geht aber leider nicht. Daher bleibt es bei vier Sternen mit einer eindeutigen Tendenz nach oben!