Rezension

Noblesse oblige

Die Gräfin -

Die Gräfin
von Irma Nelles

Bewertet mit 4 Sternen

interessante Erzählung über eine historisch verbriefte Persönlichkeit

Ein Pilot der britischen Air Force und eine alte Lady. Wunderschöne Ausgangssituation für einen spannenden Roman, der allem Anschein nach auf Tatsachen beruht. Das Buch führt uns in die Atmosphäre einer norddeutschen Hallig gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, genauer, Ende des letzten Kriegssommers in Deutschland. Es war die Zeit, in der der gesunde Menschenverstand die Hitler-Hysterie abzulösen begann, als in einigen Menschen Zweifel über den Endsieg wach wurden, als nicht nur in den zerbombten Großstädten Fragen aufkamen. Irma Nelles aber stellt die Bewohner dieser norddeutschen Gegend als allesamt der deutschen Résistance angehörend dar, nur ein paar Männer laufen vereinzelt mit zackig gehobenen Arm und versuchen die „Deutsche Ordnung‘“ mittels Erschießungskommandos aufrecht zu erhalten. Das kommt mir schwer zu glauben. Es ist wie in Wien, als nach dem Zusammenbruch niemand Hitler beim Einmarsch zugejubelt hat, die Straßen Wiens waren quasi leer, keine Euphorie und Hysterie zu sehen.  Es klingt nicht plausibel. Ich kann das nicht nachvollziehen. Weder Wien, noch Norddeutschland. 

Mit Feingefühl und stilsicherer Feder zeichnet Nelles den Eingang des britischen Piloten John Philip Gunter in diesen fast schon geschlossenen idyllischen Kreis von Menschen auf der Hallig. Misstrauen schlägt einem anfangs entgegen  von beiden Seiten, jedoch ist es für die Gräfin von Reventlow-Criminil  und ihr Entourage nie die Frage den Piloten den Behörden zu übergeben. Langsam fassen sie Zutrauen zueinander, kommen sich näher. Gespräche, Blicke, Gesten vermitteln uns den Eindruck, dabei zu sein. Der Stil ist fast schon filigran zu bezeichnen. Die Dialoge, mal in Deutsch, mal in Plattdeutsch, aber nie so, dass bayrische oder schwäbische Leser nicht mitkommen könnten, lässt die Szenen lebendiger und wirklichkeitsnah wirken.

Das Ende des Buches ist quasi offen, endet eigentlich ziemlich abrupt mit einem höflichen Handkuss. Als ob Nelles die Seiten ausgegangen wären oder der Verlag ihr nicht mehr gestattete, oder die Druckerei das letzte Kapitel unterschlagen hätte. Schwer zu glauben.  Nur aus dem Prolog können wir erahnen, dass jemand die Hallig verlassen wird in einem Flugzeug. 

Schade, ich hätte gerne mehr und weiter gelesen, wie es zum Abflug ins sichere Ausland dann letztendlich kam.