Rezension

Noch brutaler als der Vorgänger

Projekt Orphan
von Gregg Hurwitz

Bewertet mit 4.5 Sternen

Even Smoak, der "Nowhere-Man" und ehemaliger Auszubildender im ominösen, staatlichen Orphan-Programm, ist bereits im ersten Band der Reihe selbständig und immer per RoamZone erreichbar, für die nächste Person, die dringend seine Hilfe benötigt.

Er stolpert in einen Fall, in dem junge Mädchen ausgetrickst, entführt und als Lustsklavinnen verkauft werden und setzt sich zum Ziel, das aktuelle Opfer zu retten und natürlich die Strippenzieher auszuschalten. Es scheint so einfach, doch dann entpuppt sich der Fall als größer als gedacht. Und zu allem Überfluss gerät Evan aufgrund einer winzigen Unachtsamkeit seinerseits in Gefangenschaft, die alte Gegner auf den Plan ruft, ihn unnötig von der Rettung des Mädchens abhält und noch nicht einmal etwas mit seinem Fall zu tun hat. Ziemlich lästig also.

Die Gefangenschaft nimmt übermäßig viel Raum im Roman ein, die zahlreichen Fluchtversuche lassen ab einem gewissen Punkt die Spannung sinken und es wird beinahe zäh, bis wieder etwas passiert, das die Handlung voranbringt.

Obschon der Vorgängerband bereits ziemlich brutal war, so ist dieser Band ungleich brutaler. Hurwitz verwendet eine faszinierende, präzise und erbarmungslose Sprache, die besonders in Kampfszenen wunderbar spannend wirkt, allerdings heftig wird, wenn es um die Art und die Beschreibung von Verletzungen und Tötungen geht. Even lässt sich nicht unterkriegen, und wo gehobelt wird, fallen Späne.

Dieser Band birgt eine unglaubliche Wendung, die nicht nur Evan, sondern auch die Leser verstört und ein wenig verdutzt und überfordert zurücklässt. Ich finde es gut gelöst, dass Even - genau wie eben die überraschten Leser - nicht weiß, wie er mit der neuen Situation umgehen soll. Ich bin gespannt, wie er es im Folgeband verarbeiten wird. Zumindest wird hier noch einmal deutlich, dass aus Evan durch das Orphan-Projekt keineswegs eine emotionslose Kampfmaschine geworden ist, ganz genau so, wie sein ehemaliger Mentor Jack es sich für ihn gewünscht hat.

Evan muss es in diesem Band mit verschiedenen Gegnern aufnehmen, von denen jeder auf seine Weise ziemlich schräg ist. Seine Identität als Nowhere-Man läuft Gefahr, publik zu werden und er gerät in die Not, nicht Jäger, sondern Gejagter zu sein.

Es macht Spaß, Evans logischen Folgerungen zu folgen und von seinen "Agenten-Tricks" zu erfahren, die einen selbst mit offeneren Augen die Umwelt betrachten lassen. Die beschriebene Brutalität ist nichts für schwache Nerven.
Aufgrund der zu lang gezogenen Gefangenschaftsszene, in der es länger nicht vorwärts geht bzw. Even wiederholt zurückgeworfen wird, gefällt mir dieser Band etwas weniger als der Vorgänger. Nichtsdestotrotz freue ich mich darauf, bald Band 3 zu lesen.