Rezension

Noch eine Dystopie: und nicht die beste.

Der Gott am Ende der Straße - Louise Erdrich

Der Gott am Ende der Straße
von Louise Erdrich

Bewertet mit 3 Sternen

Hilfreich ist ein wenig Hintergrundwissen über die strittigen Fragen zwischen den evangelikalen und liberalen Christen, vor allem in den USA (dort versteht jedes Kind die Anspielungen, bei uns aber nicht.) Etwas Bibelkenntnis schadet auch nicht, man lese Kapitel 24 im Matthäusevangelium. Darauf bezieht sich Vieles.

Der Originaltitel „The Future Home of the Living God“ ist ebenso rätselhaft wie der deutsche Titel, ich habe ihn jedenfalls nicht ganz begriffen.

Sicher, die Protagonistin Cedar ist katholisch, also christlichgläubig orientiert und in der Zeit, die wir mit ihr unterwegs sind, verändert sich die Welt rasant. Es gibt eine Art religiöser Weltherrschaft. Und Cedar betreibt eine religiöse Zeitschrift. Aber all das bleibt nebelhaft, fest steht nur, sie glaubt daran, dass irgendwie doch alles einen Sinn ergibt. Am Ende der Straße, am Ende des Lebens. Wo vielleicht ein Gott ist, vielleicht aber auch nicht. Reicht das für einen spannenden Roman?

Das Weitergeben von Leben, also die Zukunft der Menschheit ist gefährlich geworden, denn die Evolution läuft rückwärts, es ist so, dass „das Immunsystem unter der Geburt das Kind an[greift], und das kann in eine Autoimmunreaktion umschlagen.“ Mutter und Kind könnten umkommen oder irreparable Schäden nehmen.

Das alles erfährt die erzählende Cedar erst nach und nach. Das Szenario von Weltuntergang oder Krieg bleibt ja immer gleich: Nachrichtenstop, Warenmangel, Hamsterkäufe, Orientierungslosigkeit, Währungsverfall, Bildung von Milizen, Selbstjustiz, das Recht des Stärkeren, etc. pp. Diese Bilder beschreibt Louise Erdrich sehr gut, doch ist diese Thematik ausgeschrieben. Was neu ist in ihrer Dystopie ist diese Rückläufigkeit. Doch was sie bedeuten mag für die Menschheit, wird nur angedeutet, der Fokus der Autorin liegt leider auf philosophischem Gefasel, das man teilweise durchaus auch als blasphemisch bezeichnen könnte. Der Roman landet damit sicherlich auf dem Index christlicher Kirchen. Hat das Buch deshalb in den Staaten so einen Erfolg? Und ist wohl sogar ein kleiner Aufreger?

Gelungen sind sämtliche Protagonisten bis hin zum letzten Komparsen. Die Szenen im indianischen Reservat sind tragikomisch und haben mir am Besten gefallen.

Die Autorin benutzt den Roman jedoch hauptsächlich als Gelegenheit ironische Seitenhiebe gegen die amerikanisch-evangelikale Gesellschaft auszuteilen. Evolutionsleugner und Kreationisten, aber dann doch auch die Evolutionsgläubigen, also sämtliche Dogmatiker, welcher Couleur ever, kriegen ihr Fett weg, religionsphilosophische Fragen werden angerissen, wie ist es in der Hölle, etc.pp. Auf Unrecht wird hingewiesen, die Natur wurde vergewaltigt, sie schlägt zurück und den Indianern wurde das Land geraubt.

Hätte sie diese Gelegenheit für Seitenhiebe doch bloss ungenutzt gelassen! Ich habe den Eindruck, dass die Autorin auf Biegen und Brechen eine intellektuelle Aufwertung versucht, angereichert durch plumpe Provokation, um vom reinen Unterhaltungswert einer Dystopie auf das Level des anspruchsvollen Romans zu kommen. Das ist misslungen. Viel lieber hätte man mehr davon gehört, wie sich die Welt verändert.

Auch die Schutzimpfungsverweigerer kriegen eins auf den Deckel: „Ihr Oberschichtspinner könnt es euch nur leisten, eure Paranoia zu pflegen, weil die breite Masse die angeblichen Impfrisiken auf sich nimmt.“ Ja, das amüsiert mich. Aber, es hat mit der Story insgesamt ziemlich wenig zu tun. Man merkt die Absicht (der Rundumschläge) und ist verstimmt.

Und dann das Ende. Das Ende ist einer renommierten Autorin nicht würdig. Ein offenes Ende dieser Art lernt man in der Kreativwerkstatt.

Doch ein Satz in dem ganzen Geschwafel und pseudophilosophischen Wust hat mir dann doch sehr gut gefallen, aber nur, weil ich mich damit so gut identifizieren kann: „Ich will über meine Lebensspanne hinausblicken … um genau das zu erkennen, was es Paläontologen zufolge nie geben wird: das Narrativ. Ich will den Plot erkennen. Mehr als alles andere macht es mir zu schaffen, dass ich nicht mitbekommen werde, wie die Geschichte ausgeht“.

Fazit: Die Idee rückläufiger Evolution ist neu, wurde aber von der Autorin nicht ausreichend ausgearbeitet. Altbackene, wohlerörterte Philosophiefaseleien tragen nicht durch einen dystopischen Roman, selbst dann nicht, wenn eine phrasenlose schöne Schreibe da ist und gelungene Figuren herumwuseln. Der geneigte Leser erwartet von einer Dystopie nämlich nur eines, dass sie eine Dystopie ist, die einen Superplot hat. Und den hat "Der Gott am Ende der Straße" leider nicht.

Kategorie: Gute Unterhaltung
Aufbauverlag, 2019

Kommentare

Emswashed kommentierte am 26. Mai 2019 um 08:00

Dann doch lieber bei Atwood bleiben?

wandagreen kommentierte am 26. Mai 2019 um 08:56

Es ist nicht schlecht insgesamt, aber zu langweilig und an den Witz von Atwood kommt Erdrich nicht im Entfernsten heran. Gut geschrieben, dennoch zu platt. Geht bestimmt in den USA besser.

Paperboat kommentierte am 27. Mai 2019 um 20:58

Das nimmt dann tatsächlich gehörig etwas vom Lesevergnügen, wenn man den angesprochenen Konflikt nicht ganz nachvollziehen kann.