Rezension

Nora auf der Suche nach dem perfekten Leben

Die Mitternachtsbibliothek -

Die Mitternachtsbibliothek
von Matt Haig

Bewertet mit 5 Sternen

Es gibt wahrscheinlich niemanden, der sich diese „Wenn-Frage“ nicht mindestens einmal in seinem Leben gestellt hat ... wie würde mein Leben aussehen, wenn ich mich für eine andere Schule oder einen anderen Beruf entschieden hätte, wenn ich statt Basketball zu spielen ein Instrument gelernt hätte, wenn ich den Mut gehabt hätte, ein Auslandsjahr zu absolvieren ... Fragen, auf die wir niemals eine Antwort erhalten werden.

Anders ist das für Nora Seed. Sie beschließt nach einem Tag voller Rückschläge und an dem auch noch ihre geliebte Katze gestorben ist, ihrem Leben eine Ende zu setzen ... und landet in der Mitternachtsbibliothek. Jedes Buch der Bibliothek beinhaltet eine Version ihres Lebens und sie hat die Möglichkeit, sich all diese Leben anzuschauen, in denen sie in ihrer Vergangenheit andere Entscheidungen getroffen hat. Vielleicht findet sie ja ein Leben, das ihr lebenswerter erscheint...

Eine außergewöhnliche und faszinierende Buchidee! Als ich Ende letzten Jahres den Klappentext des Buches gelesen habe, war mir klar: Das ist ein „Must-Read“ für mich! Bereits mit „Ich und die Menschen“ konnte Matt Haig mich überzeugen und ich war sehr gespannt auf die Umsetzung dieser Geschichte.

Das Buch ist unglaublich tiefgründig, voller philosophischer Gedanken und enthält viele wahre Aussagen, die ich mir am liebsten alle aufgeschrieben hätte, um sie zum passenden Zeitpunkt erneut zu lesen. Was mich sehr angesprochen hat, waren die Textstellen, die das Leben mit einer Partie Schach vergleichen.

„Zu Beginn der Partie gibt es keine Variationen. Es gibt nur eine Möglichkeit, die Figuren aufzustellen. Nach den ersten sechs Zügen sind es schon neun Millionen Variationen. [...] Und es gibt nicht den einen richtigen Weg, die Partie zu spielen; es gibt viele Wege. Im Schach wie im Leben basiert alles auf Möglichkeiten. Jede Hoffnung, jeder Traum, jedes Reuegefühl, jeder Moment des Lebens.“

Matt Haig bringt den Leser dazu über das Leben nachzudenken und zu hinterfragen, was dieses Zurückblicken auf verpasste Chancen und vermeintlich falsche Entscheidungen mit den Menschen macht. Man kann aus diesem Buch viel für sich selbst mitnehmen, weil es in dieser Geschichte eben nicht nur um Nora, sondern in gewisser Weise um jeden Menschen geht. Neben dem philosophischen Anteil, bringt der Autor auch naturwissenschaftliche Theorien und als es um Quantenphysik ging, habe ich mich kurzzeitig etwas überfordert gefühlt. Im Lauf der Kapitel entwickelt das Buch einen richtigen Sog, man begleitet Nora voller Neugier und Spannung von Leben zu Leben und bemerkt, dass auch ihre „erfolgreichen Leben“ bei weitem nicht perfekt sind.

„Aber es gibt kein Leben, in dem man immer nur glücklich ist. Und wenn man sich ausmalt, es gebe so ein Leben, wird man im eigenen Leben nur umso unglücklicher.“

Dieses Buch ist wie eine unvergessliche Reise, die dem Reisenden viele wichtige Erkenntnisse bringt. Man erlebt die Veränderung, die in Nora mit jedem ihrer Leben -das sie ausprobieren darf- geschieht und kommt zum Ende der Geschichte (ebenso wie sie selbst) zu einer ganz klaren, nachvollziehbaren und überzeugenden Wahrheit.

Die Mitternachtsbibliothek ist ein Roman mit einer wichtigen Botschaft, eine Geschichte, die sehr traurig und deprimierend beginnt, den Leser aber am Ende mit einem Herz voller Hoffnung und einem Lächeln auf den Lippen entlässt. Von mir gibt’s eine Leseempfehlung für dieses tiefgründige und lehrreiche Buch.