Rezension

Nord-Korea - kein weißer Fleck mehr auf der Thriller-Landkarte - mit einigen Längen

Stern des Nordens - D. B. John

Stern des Nordens
von D. B. John

Bewertet mit 4 Sternen

Die Amerikanerin Jenna (Jee-min) Williams hat ihr Leben aus sehr persönlichen Gründen dem Thema Nord-Korea gewidmet. Sie ist sogar eigens nach Nord-China gereist, um dort in der koreanischen Minderheit den nordkoreanischen Dialekt zu lernen. Als sie und ihre Zwillingsschwester 18 waren, ging Soo-min für ein Auslands-Jahr nach Süd-Korea. Beim Zelten auf einer Insel in unmittelbarer Nähe der Grenze zu Nord-Korea verschwanden Soo-min und ihr einheimischer Freund. Obwohl den Eltern erklärt wurde, dass die jungen Leute vermutlich beim Schwimmen ertrunken wären, tauchten ihre Leichen nie wieder auf. Hunderte von ausländischen Familien, deren Kinder im Grenzgebiet zu Nord-Korea verschwanden, gehen inzwischen davon aus, dass die Verschwundenen vom Kim-Regime entführt wurden. Jenna fühlt noch immer eine enge Verbundenheit zu Soo-min und will sich nicht mit ihrem angeblichen Tod abfinden. Als die CIA sie 2010 mitten im Semester als Nord-Korea-Analytikerin aus ihrem Job abwirbt, scheint das der einzig denkbare Weg zu sein, um jemals Soo-mins Spur aufzunehmen. 2010 war das entscheidende Jahr, in dem die Atomverhandlungen mit Korea wieder aufgenommen wurden. Dass Jenna undercover in der am strengsten abgeschotteten Diktatur der Welt aktiv werden kann, scheint anfangs wenig wahrscheinlich; denn ihr Vater ist Afroamerikaner – sie würde auffallen wie ein bunter Hund. Während ihrer Ausbildung im Trainingslager Camp Peary auf der „Farm“ zeigt Jenna Fähigkeiten, die man der bescheidenen Frau nicht unbedingt zugetraut hätte. Sie interessiert sich z. B. für Bilder der Satellitenüberwachung und entwickelt einige bemerkenswerte Ideen für Verhandlungen mit Nord-Korea. Die Rolle der USA als Weltpolizei, deren Zweck stets die Mittel heiligt, stellt Jenna allerdings nicht infrage.

In Pjöngjang gelingt den Brüdern Cho Sang-ko und Cho Yong-ho zur gleichen Zeit jeweils ein entscheidender Karriereschritt. Doch über ihnen schwebt wie ein Fallbeil die Tatsache, dass sie als Kinder adoptiert wurden und ihre Laufbahn beendet wäre, sollte ihre wahre Herkunft aufgedeckt werden.

Hyesan liegt am Yalu-Fluss, der dort die Grenze zwischen Nord-Korea und China bildet. Hier hat die ältere Frau Moon mit erstaunlichem Talent eine florierende Garküche auf dem Bahnhofsvorplatz gegründet und sich damit erstaunlicherweise keine Feinde gemacht. So wie sie schwänzen viele Menschen in Nord-Korea die Arbeit, um sich in anderen Jobs etwas zu essen zu beschaffen. An Frau Moons Beispiel und der speziellen Lage der Stadt zeichnet D.B. John auf, wie ein selbst kriminelles Regime seine Bürger in Kriminalität, Drogenhandel und schließlich zur Flucht ins Ausland treiben kann.

Wie sich die Wege der drei Familien kreuzen, verwebt John zu einem überzeugenden Agententhriller, mit dem er vorrangig Hunger als politisches Kontrollinstrument einer Diktatur zeigt und deren Konzentrationslager als Symbol eines Systems, in dem Reis auf dem schwarzen Markt für harte Auslandswährung gehandelt wird. Das Setting und die Lebensbedingungen im unwirtlichen Norden wirken auf mich ausgezeichnet recherchiert. Das sehr informative Nachwort informiert, an welche realen Ereignisse sich Johns Handlung anlehnt. Gerade für jene europäischen Leser finde ich den Schauplatz faszinierend, die - auf der anderen Seite des Flusses - schon in der Mandschurei gearbeitet und Flüchtlinge aus Nord-Korea getroffen haben. Die Kapitel in Hyesan und im Arbeitslager werden einige Leser vermutlich als Längen empfinden, ich fand sie besonders eindringlich. Seine in den USA sozialisierte Figur Jenna scheint John als Nicht-Asiate näher zu sein als Frau Moon und die Brüder Cho, deren Motive ich weniger überzeugend dargestellt fand. Beim Besuch der nordkoreanischen Delegation in den USA fand ich z. B. die Perspektive Chos, der sein Land noch nie verlassen noch nie einen Ausländer gesehen hat, zu stark westlich gefärbt.

John füllt mit seinem psychologisch interessanten Agententhriller einen weißen Fleck auf der Thriller-Landkarte. Geduld, um einige Längen zu überstehen, lohnt sich hier.