Rezension

Notwendiges Buch

Versäumte Fragen
von

Bewertet mit 5 Sternen

Die Historiker der Weimarer Republik kamen aufgrund ihrer im Regelfall nationalistischen Grundhaltung "nicht mit leeren Händen" zum Nationalsozialismus (Karl Alexander von Müller). Vordergründig geht es in dem Buch "Versäumte Fragen" um das Verhalten der Historikerzunft im Dritten Reich, tatsächlich aber um ihren Einfluss auf die Geschichtsschreibung der Bundesrepublik. Neuere Funde belegen eine weitaus tiefere Verstrickung der Doyens der Nachkriegsgeschichtsschreiber, Schieder, Conze, Erdmann und Rothfels (der pikanterweise als Nichtarier von den Nazis geschasst wurde) in das System, als man das bisher vermutet hatte. Andererseits waren sie die Lehrer der weitaus meisten Historiker der zweiten Nachkriegsgeneration, die, zumindest was meine Studienzeit betrifft, die Meilensteine waren, an denen es sich abzuarbeiten galt, seien es, um nur einige Beispiele zu nennen, Wehler, die Mommsen-Zwillinge oder Jürgen Kocka. Dieser zweiten Generation wird nun wiederum von ihren eigenen Schülern der Vorwurf gemacht, es versäumt (s. Titel des Buches) zu haben, ihre Lehrer nach ihrer Rolle im Dritten Reich gefragt zu haben. In einer Fülle von Interviews werden sie nun nicht nur danach befragt. Herausgekommen ist ein interessantes Bild über die Studienbedingungen in den fünfziger und sechziger Jahren, aber eben auch Charakterbilder der verschiedenen Historiker. Was die Verstrickung ins Dritte Reich betrifft, Pauschalurteile sind kaum möglich, da viele der damals tätigen Historiker den Krieg gar nicht überlebt haben, Karrieristen zum Teil nach dem Krieg keien Wiedereinstellung fanden. Andere gingen in die Emigration. Im Grunde ließe sich also die Frage nach der jeweiligen Verstrickung nur individuell beantworten.