Rezension

Nüchterne Bilanz des Internet-Zeitalters u. verfehlter Zivilisation

Creep -

Creep
von Philipp Winkler

Bewertet mit 4 Sternen

In Philipp Winklers Roman ,,Creep'' werden uns die beiden Charaktere Fanni und Junya präsentiert. Die beiden leben in zwei verschiedenen Ländern, Deutschland und Japan, aber haben dennoch viele Parallelen, als auch Unterschiede. Sie leben beide komplett zurückgezogen, Junya in Japan als ,,Hikkomori'' in seinem Elternhaus, und Fanni in Deutschland ohne jegliche Freunde. Die beiden flüchten sich aus der realen Welt in das Internet. Fanni, die bei dem BELL-Konzern arbeitet, schaut regelmäßig über die installierten BELL-Kameras bei der Familie Naumann vorbei, und ahmt ihren Alltag nach, während Junya sich nachts rausschleicht, um mit Maske und Hammer Lehrer in ihren Betten aufzusuchen und sie zu verprügeln. 

Wie der Titel schon vermuten lässt, haben die beiden auch etwas ,,Stalkerhaftes'' an sich, da sie beide andere Menschen z.B. im Schlaf beobachten. Dabei ist man als Leser immer hin- und hergerissen, ob man Mitleid für die Charaktere empfinden soll oder nicht. Dieses Gefühl wechselt sich immer ab, da man z.B. durch mehrere Rückblicke in die Kindheit der beiden teilweise nachvollziehen kann, warum sie heute so komisch sind. Doch dann wird man zurück in die Wirklichkeit geholt und erfährt von ihren Taten, was einen wieder in Unglauben versetzt. 

Man muss sich aber auch auf das Buch einlassen können, denn es bietet einige Hürden. Ist man bereit, sich ihnen zu stellen, dann wird das Buch extrem spannend und bereichernd, da man in eine Welt voller Charaktere eintauchen kann, die als Außenseiter einer Gesellschaft darstehen, die man als ,,Normalo'' nie kennenlernen oder gar verstehen würde. 

Zu diesen ,,Hürden'' zählen sehr viele technische und japanische Fachbegriffe, mit denen ich auch nichts anfangen konnte. Nach ein bisschen rumgoogeln wird das Ganze aber leichter und man lernt sehr viel neues (bei mir sehr viel über die japanische Kultur). Ich finde es interessant, dass Philipp Winkler sich um eine geschlechterneutrale Sprache bemüht. Dabei habe ich Kund_innen oder Nachbar_innen beim Lesen nicht als störend empfunden. Eher dieses konsequente Bemühen, irgendeinen englischen Begriff (,,recordete Existenz'') unterzubringen. 

Ich finde, dass das Buch ein bisschen an ,,The Circle'' erinnert. 

Das Buch lässt sehr viel offen, und auch sehr viel Interpretationsspielraum. Nach dem Ende ist man erstmal baff, und weiß auch nicht, wie es weitergehen wird, was ich umso besser finde. Das Buch ist aber wirklich nichts für schwache Nerven, da es teilweise sehr viel brutale Szenen gibt. Man muss es mögen- mag man es, dann ist es ein extrem gutes Buch.