Rezension

Nur die Liebe lässt uns leben?

Wilde Freude
von Sorj Chalandon

Bewertet mit 2 Sternen

Jeanne, Buchhändlerin in Paris, kann es nicht fassen: Sie hat Brustkrebs. Das, was sonst nur anderen passiert, geschieht nun ihr, mit allen Konsequenzen. Dass sie sich von ihrem prächtigen roten Haar verabschieden muss, ist noch der geringste Schmerz. Ihr schöner und kalter Mann, von dem sie seit dem Tod des gemeinsamen  Sohnes entfremdet ist, verlässt sie endgültig, er kann sie nicht leiden (und hässlicher werden) sehen. Bei der Chemo lernt sie Brigitte kennen und durch sie auch Assia und Mélody, alle vom Leben geschlagen wie sie. Die drei planen einen spektakulären Coup: ein Überfall auf einen der Glamour-Juweliere der Stadt. Nach einigem Zögern entschließt Jeanne sich, mitzumachen: Was hat sie noch zu verlieren?

Die Story liest sich flüssig, ist linear aufgebaut mit Rückblenden, die den Hintergrund der Frauen erklären. C. erlaubt sich keinerlei literarische Manierismen und liest sich mühelos. Ich mochte die Protagonistinnen; es ist leicht, sich mit ihnen zu identifizieren. Vor allem Jeanne, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird, legt eine starke Entwicklung hin.

Aber „Nutze den Tag, denn schon morgen kann es vorbei sein“ als Botschaft ist mir einfach zu platt. Wenn du mit deinem baldigen Tod konfrontiert bist, muss das zwangsläufig deine Perspektive verändern. Nicht, dass ich mir das auch nur ansatzweise vorstellen könnte. Chalandon kann offenbar. Er fühlt sich erstaunlich gut in weibliche Psychen ein. Seinen Frauen stellt er Männer an die Seite, die komplette Nullvarianten sind: emotional verarmt, verantwortungslos, egoistisch. Klar ist: seine Protagonistinnen sind besser dran ohne sie, und je eher sie das kapieren, desto eher haben sie die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben.  

Die wirklich interessanten Fragen stellen sich im Roman jedoch an anderer Stelle, denn es gibt noch einen zweiten Spannungsbogen darin. Darüber zu schreiben, ohne zu spoilern, ist schwierig, ich versuch´s trotzdem. Täuschung und Lüge stellt die Freundinnen auf eine harte Probe. Wie sollen sie damit umgehen?

Die Lösung, die sie finden, hat mich umgehauen. Sie ist zutiefst christlich. Ich muss sagen, dass ich mich damit wirklich schwer getan habe. In der Liebe bleiben, wenn Rache und Vergeltung die natürliche Reaktion zu sein scheinen? Wo bleibt da die Gerechtigkeit? Aber vielleicht ist das die Botschaft des Romans: Nur die Liebe lässt uns leben?

Kommt mir allerdings auch ziemlich platt vor.