Rezension

Nur die Musik

Das Lied meiner Schwester - Gina Mayer

Das Lied meiner Schwester
von Gina Mayer

Bewertet mit 4.5 Sternen

Die Schwestern Anna und Orlanda leben in Düsseldorf. Ihre Eltern sind schon früh verstorben. Anna, die Ältere, arbeitet als Krankenschwester, Orlanda singt an der Düsseldorfer Oper. Obwohl nur drei Jahre auseinander, könnten sie kaum unterschiedlicher sein. Aber im Jahr 1929 ist die Welt heil, noch. Im gleichen Jahr erhält auch der Opernsänger Clemens Haupt eine Anstellung, sein Freund Leopold Ulrich verhilft ihm dazu. Durch einen ziemlich miesen Trick, wie die Kollegin Fritzi ihnen eindeutig zu verstehen gibt. Aber es ist wie es ist. In dieser Welt der Musik, der Leichtlebigkeit, in der ersten Bekanntschaft mit Swing und Jazz, wirkt die vernünftige Anna, die sich ganz ihrer Arbeit verschrieben hat wie ein Fremdkörper.

 

Wie schön ist die Welt der Musik, sei es eher die ernstere der Oper oder die fröhlichere des Swing. Unbeschwert leben Orlanda und ihre Freunde in dieser Welt. Die drohende Gefahr der Nazi-Herrschaft scheint nicht ihnen zu gelten. Sie verschließen einfach ihre Augen, so schlimm wird es schließlich nicht werden. Doch auch Anna, mit ihrer Ernsthaftigkeit und ihrer Gewissenhaftigkeit, scheint zunächst wie geblendet. Der schneidige Arzt, der ihre Karriere fördert, gibt ein Vorbild, das sich als sehr zweifelhaft herausstellt. Mit dem Verrinnen der Zeit lassen sich die negativen Auswirkungen des unsäglichen Regimes nicht mehr übersehen. Es werden Jobs gestrichen oder nicht erst vergeben, es wird subtiler Druck ausgeübt, es wird manipuliert. 

 

In einen Rahmen der Nachkriegszeit gekleidet malt dieser außerordentlich beachtenswerte Roman ein Bild von einer schleichenden Verrohung der Gesellschaft. Welches Leid bereits das herannahende Unheil verursacht. Welche Schuld die Menschen auf sich laden, viele durchaus absichtlich, manche eher unfreiwillig. Wie wenige mit einfachsten Mitteln kämpfen. Wie einzelne durch ihre unbedarfte Vertrauensseligkeit Verrat üben. Die Musik verlässt diese üble Welt, in der nur Tschingderassabum besteht. Man soll den Kindern die ganze Geschichte erzählen, damit sie eine Vorstellung bekommen, wie es gewesen sein könnte. In der Hoffnung, dass sie es nie wieder soweit kommen lassen, dass sie einschreiten, bevor es zum Exzess kommt. Durch diese Geschichte zweier unterschiedlicher Frauen wird einem die Komplexität menschlicher Beziehungen näher gebracht und die bedauerlicherweise Unvermeidlichkeit des Schicksals. Ein Schicksal, gegen das man sich mit aller Macht stemmen möchte, stemmen müsste.