Rezension

Odessa star

Odessa Star - Herman Koch

Odessa Star
von Herman Koch

Bewertet mit 4 Sternen

Fred Moormann ist ein richtiger Unsympath. Spießig, unfähig, fremdenfeindlich, frauenfeindlich, behindertenfeindlich... Endlos ließe sich diese Reihe fortsetzen. Denn Fred Moormann hasst fast alles und alle. Dabei lebt er recht behaglich, was er so beruflich macht erschließt sich dem Leser nicht, es scheint, als ob er auf Kosten seiner Frau lebt. Diese ist ihm genau wie sein einziger Sohn nicht wirklich zugetan. Kein Wunder, wenn man sich diesen Mann genauer betrachtet. Und der Leser hat die Gelegenheit, ihn wirklich sehr genau zu betrachten. Denn Herman Koch lässt uns ungefiltert und ungebrochen an Freds Gedanken teilhaben. Und dies sind wirklich keine schönen Gedanken. Anders als in Kochs späteren Büchern, die auch ziemlich unsympathische, eher mehr als weniger psychotische Männer als Protagonisten hatten, die aber erst nach und nach ihre abseitigen Charaktere enthüllten, plaudert Moormann von Beginn an mit einer frappierenden Offenheit und Naivität daher. Selbstzweifel oder -Kritik scheint er nicht zu kennen, in vielen Bereichen scheint er emotional im übelsten Kinderstadium steckengeblieben zu sein. z.B. in dem er glaubt, durch einen neuen "coolen" Bekanntenkreis sein ödes Leben aufpeppen zu können oder durch ein "geiles" Auto die Liebe und Aufmerksamkeit nicht nur seines Sohnes zu gewinnen. Moralische Skrupel kennt er kaum, andere Menschen überzieht er mit einem völlig unbegründeten, grenzenlosen Hass, sei es sein Schwager, seinen es völlig Fremde oder seine alte Nachbarin, die er gerne aus dem Weg hätte. Nur sein ehemaliger Schulkamerad Max, mittlerweile anscheinend ein Großkrimineller, den er nach Jahren wiedertrifft, genießt seine Bewunderung. Er drängt sich ihm erbarmungslos auf und bewegt ihn dazu, sowohl den verhassten ehemaligen Französischlehrer als auch die Nachbarin zu beseitigen. Doch im Kriminellen-Milieu geschieht nichts ohne Gegenleistung...
Ich habe selten ein Buch so voll mit Boshaftigkeit, Gewaltphantasien und moralischer Skrupellosigkeit gelesen. Und dann noch so ungerührt und unkritisch vorgetragen wie von Fred Moormann. Und darin besteht eine große Kunst. Sprachlos und erschüttert hört man zu und trotzdem ertappt man sich auch immer wieder beim Kichern, wenn die ein oder andere Boshaftigkeit allzu treffend oder monströs ist. Um absolute Glaubwürdigkeit geht es dem Autor dabei eher weniger.